BierTalk Spezial 60 – Interview mit Jakob Hein, Psychiater, Schriftsteller, Drehbuchautor und Übersetzer aus Berlin

In der neuesten Folge von BierTalk wird es spannend und tiefgründig! Unser Markus hat sich einem besonderen Erlebnis gestellt: seiner ersten Sitzung bei einem Psychiater, und das auch noch öffentlich! ??️

Wir sprechen mit dem renommierten Psychiater und Schriftsteller Jakob Hein, der uns nicht nur Einblicke in seine vielseitige Karriere gibt, sondern auch brisante Themen anspricht, die unseren Podcast in Frage stellen könnten. Was bedeutet Alkohol in verschiedenen Kulturen? Wie beeinflusst er unser Verhalten wirklich? Und kann alkoholfreies Bier genauso genussvoll sein?

Erlebe eine packende Diskussion über Suchtprävention, kulturelle Unterschiede und persönliche Erkenntnisse rund um den Alkohol. Lass dir diese einzigartige Episode nicht entgehen – sie könnte deine Sicht auf Bier und Alkohol grundlegend verändern…

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Markus: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts BierTalk. Ja, wie immer eine besondere Folge, aber heute ist es soweit, meine erste Sitzung bei einem Psychiater. Noch dazu öffentlich und eine Episode, die vielleicht am Ende sogar diesen ganzen Podcast infrage stellen könnte, also ein heißes Eisen in jeder Hinsicht. Jakob Hein, ich freue mich sehr auf unser Gespräch und Danke, dass es mit unserem Termin geklappt hat. Vielleicht stellen Sie sich ganz kurz unseren Hörern mal selbst vor.

Jakob Hein: Sehr gern. Mein Name ist Jakob Hein, ich bin 1971 in Leipzig geboren und leben seit 1972 mit meiner Familie in Berlin. Ich bin Psychiater für Erwachsene, Kinder- und Jugendpsychiater und Psychotherapeut, Hypnotherapeut, Übersetzer, Schriftsteller und Drehbuchautor.

Markus: Ja, das ist ja ein ganzes Bündel von Tätigkeiten, die Sie tun. Normalerweise sagt man ja gerade Journalisten, Drehbuchautoren eine gewisse Nähe zum Alkohol nach. Geht das zusammen mit der Rolle in der Suchtprävention und als Psychiater?

Jakob Hein: Also ich glaube, jede Berufsgruppe hat so ein bisschen ihr Alkoholschema in Deutschland. Also ich denke jetzt nicht, dass man Leute in der Baubranche, dass man die für besonders wenig trinkend hält oder das man glaubt, dass Menschen jetzt in der Unterhaltungsindustrie, dass die wenig trinken. Also ich glaube, mir fällt da jetzt nicht so richtig eine Branche ein, wo wenig getrunken werden soll. Ja, die Hausfrauen trinken angeblich Prosecco und die Handwerker trinken vor allen Dingen Bier. Also natürlich, auch Ärztinnen und Ärzte trinken auch definitiv Alkohol. Das ist ja in Deutschland auch nicht verwunderlich, ich glaube, wir sind ja eins dieser typischen mitteleuropäischen Länder, wo Alkoholkonsum durch alle Schichten Normalität ist.

Markus: Ja, also wir liegen deutlich über dem Durchschnitt in der EU und gelten für die WHO als Entwicklungsland, was die Prävention angeht. Das ist schon eine krasse Sache eigentlich. Und, ja, wie ist es denn bei Ihnen mit dem Thema Alkohol und Bier? Haben Sie ein Lieblingsbier, trinken Sie ab und zu mal einen Schluck, wie machen Sie das?

Jakob Hein: Also ich trinke sehr gern Bier, ich trinke eigentlich auch am liebsten Bier, also es darf auch ab und zu mal ein guter Wein sein. Brände, also alles so, wo so der Alkoholgehalt deutlich über 20 % sind, interessiert mich überhaupt nicht. Davon wird mir direkt Übelkeit verursacht. Ja, vielleicht habe ich auch nicht die Richtigen gefunden, aber ich würde mich da auch grad nicht auf die Suche machen. Und, ja, also im Moment trinke ich am liebsten, das ändert sich ja auch immer nach Wind und Wellenschlag, also Paulaner Helles, alkoholfrei vom Fass, finde ich total klasse und großartig und schön süffig. Und von Störtebeker das Freibier Atlantik-Ale. Das finde ich auch so ein richtig schönes rundes Bieraroma, wo eben sowohl eben Hefen eindeutig da sind, mit dem, was Hefen ja noch mehr können. Also die können ja noch so diese Umami-Geschmackssorten ins Bier bringen, aber eben auch so ein wirklich runder schöner Biergeschmack. Also das ist ein sehr gelungenes Atlantik-Ale, das Freibier von Störtebeker. Das sind die zwei Biere, die ich im Moment am liebsten trinke.

Markus: Ja, also dem kann ich nur zustimmen, das sin beides wunderbare Beispiele. Und es ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass die Bierbranche, die ja ganz lange eher so im Hintergrund war oder im Rückstand war gegenüber zum Beispiel der Weinbranche oder so, was das Thema alkoholfreie Biere hat, ziemlich weit vorne steht. Also der alkoholfreie Wein zum Beispiel, da ist noch ein ganz anderer Weg zu gehen und da gibt es mittlerweile wirklich ganz tolle Beispiele bei den Bieren, wie Sie es schon gesagt haben. Und es wird immer mehr und es gibt auch immer mehr Brauereien, die zum Beispiel ausschließlich alkoholfreie Biere machen. Und grade, wenn man im Ausland viel unterwegs ist, dann trifft man da auf noch bessere und sehr spannende Beispiele. Also insofern, ja, freut mich, dass Sie dann auch wenigstens Bier trinken, das ist doch schon mal schön.

Jakob Hein: Ich trinke natürlich auch und bin so zum Bier trinken gekommen über Biersorten mit Alkohol, aber ich stimme Ihnen da zu 100 % zu, also ich bin total begeistert, was die Braumeisterinnen und Braumeister in unserem Land in den letzten Jahren ins Fass gezaubert haben eben ohne Alkohol. Und deswegen kann ich das auch umso offensiver sagen, wie gern ich Bier trinke, weil ich eben auch diese alkoholfreien Spezialitäten einfach lecker und toll finde und auch sozusagen, klingt jetzt komisch, sehr bierig finde. Das war früher sicherlich nicht so. Also so die Konventionellen, ich will jetzt da keine Namen nennen, negative Kritik ist immer doof, aber so die konventionellen alkoholfreien Biersorten, die waren schon sehr gewöhnungsbedürftig.

Markus: Ja und das waren ja auch noch welche, die hauptsächlich eine Funktion hatten, nämlich einfach ein Ersatz für die armen Menschen zu sein, die jetzt nicht ein normales Bier trinken können, in Anführungsstrichen.

Jakob Hein: Genau.

Markus: Und das hat sich ja mittlerweile geändert. Also über den Umweg, ein Sportgetränk zu sein, eine Alternative für Sportler, ein alkoholfreies Weißbier zum Beispiel, bis hin eben zu der Zeit, dass wir jetzt im Grunde eine eigene Getränkekategorie haben. Und wenn man da jetzt mal nüchtern, also im wahrsten Sinne des Wortes, nüchtern drauf schaut, dann ist das ja ein alkoholfreies Getränk auf Fermentationsbasis, was also sehr gesund ist, wenig Kalorien hat, viele sinnvolle Inhaltstoffe hat und damit ja eigentlich viel besser als jeder Softdrink oder so. Und das wird tatsächlich auch von der jungen Zielgruppe angenommen und ist für Brauereien durchaus eine Chance, jetzt auch einen Markt für sich zu entdecken, weil das Thema Alkohol natürlich und zu Recht schwieriger wird. Wie war das denn jetzt bei Ihnen, also Sie machen ja jetzt auch sehr viel rund um das Thema Alkohol und wir kommen ja auch gleich auf das Buch zu sprechen, wann hat sich das bei Ihnen so in diese Richtung bewegt, dass Sie sich sehr damit beschäftigt haben und dann jetzt auch damit arbeiten?

Jakob Hein: Naja, ich war ja in der Charité, bis 2011 war ich ja der Oberarzt in der Suchtambulanz, also ich beschäftige mich da schon seit vielen Jahren damit. Und wenn man eben ehrlich zu sich ist, dann reflektiert man ja über diesem Umweg oder auf diese Weise immer auch sein eigenes Trinkverhalten, dass man dann so denkt, ja, wie ist das eigentlich bei mir? Und kann ich mir eigentlich vorstellen, dass ich auf einer Feier bin und so richtig Spaß habe, mich wohlfühle, freue, die ganzen zu Leute zu sehen, vielleicht sogar zu tanzen und all die Sachen zu machen, ohne zu trinken? Und da habe ich mich dann eben geprüft auch immer wieder. Und, ja, dann war, ehrlich gesagt, der jetzige Januar war so der erste Monat, wo ich sagen kann, da habe ich mal einen ganzen Monat lang nichts getrunken. Meine liebe gute Freundin Monika Trendelenburg, die ist Oberärztin in der Sucht in Neukölln und bei der müssen alle Ärztinnen und Ärzte, werden angehalten, wenn sie bei ihr arbeiten, ich glaube, acht Wochen lang keinen Tropfen zu trinken, ein ganz normales Leben weiterzuleben, um einfach mal so ein Gefühl dafür zu bekommen, wie ist das eigentlich, wie sind eigentlich diese Ratschläge, die man so wohlmeinend an Menschen auch mit Erkrankung dann gibt, dass man sagt, trink doch einfach nix. Nun ja, wer das mal probiert, einen Monat durchzuziehen, der wird sehen, so einfach ist das nicht. Wobei die gesellschaftliche Akzeptanz total nach oben gegangen ist, also für eben jetzt zum Beispiel das Trinken von alkoholfreiem Bier. Also ehrlich gesagt, im Nürnberger Paulaner Garten, als ich mir da das Paulaner Hell bestellt habe, braucht mir das der etwas leutselige Kellner auch mit dem Ausruf, hier, eine kastrierte Halbe. Aber davon abgesehen ist es eigentlich so in meinen persönlichen Kreisen völlig problemlos und akzeptiert und das ist alles gut.

Markus: Ja, ich glaube auch, die Entwicklung geht da absolut in eine richtige Richtung. Man merkt schon, das grad in Bayern doch die ein oder anderen noch ihre Probleme damit haben und einfach die Erwartungshaltung, die ist, dass man gefälligst Alkohol zu trinken hat. Also ich erinnere mich nur, letzte Woche war eine Talkshow im Fernsehen, wo der CSU-Generalsekretär sich quasi entschuldigt hat dafür, dass er ein Foto auf dem Oktoberfest gemacht hat und in seinem Glas war Bier und das war eben ein alkoholfreies Bier. Und es war ihm peinlich, das zu sagen. Und sowas, das darf eigentlich nicht sein. Aber man sieht, dass da einfach in der Gesellschaft noch viel ist, viel Gelegenheit, viel Erwartungshaltung.

Jakob Hein: Er musste da ja auch ganz schön zum ja getragen werden, er wollte das eigentlich nicht eingestehen. Aber selbstverständlich, wenn man sich die Programme anguckt auch im Wahlkampf, dann ist es einfach unwahrscheinlich, dass die Politiker jetzt, wenn die eben durchs Land ziehen, eben acht Mal am Tag einen halben Liter alkoholhaltiges Bier trinken. Also unsere Politiker wären ja alle Leber-transplantiert, das würde gar nicht gehen. Und insofern, ja, das war eine sehr lustige Szene, wo Herr Lanz ihn da so zum ja tragen musste, dass er dann zugeben konnte, dass da möglicherweise jetzt kein Alkohol drin war. Ich wollte da noch mal sagen so, also wenn ich jetzt zum Beispiel so ein Störtebeker Freibier Altantik-Ale, wenn ich das jetzt so mir so reinlaufen lasse an so einem Feierabend und ich sitze da mit meiner Familie so am Tisch und ich trinke das und diese ganze Aromenpalette zieht so an meinem Gaumen vorbei und ich finde das schön, ich genieße das Leben, es soll auch schön kalt sein und vielleicht auch aus einem guten Glas kommen. Wobei ich eben auch gern Bier aus der Flasche trinke, ist für mich auch ein Genuss. Jedenfalls denke ich mir dann manchmal, naja, das würde mir jetzt nicht besser schmecken, wenn da Äthanol drin wäre. Äthanol ist nicht so eine aufregende Substanz und nicht so interessant, ich kriege davon nur motorische Einschränkungen. Und deswegen wäre eben mein Plädoyer, oder was ich eigentlich will von einem Bier, ist der Biergenuss. Und ich kann sagen es gibt auf jeden Fall mittlerweile Biersorten, die mir das bieten und das finde ich schön. Und ich finde es eben so schlimm, wenn viele Diskussionen irgendwie aus dem Negativen heraus betrachtet werden. Ich glaube, dass ich mich mit jedem Generalsekretär auch darüber einigen kann, dass ein Biergenuss was Feines ist. Und jetzt ist dann eben die nächste Frage, ob da Alkohol drin sein muss?

Markus: Absolut, ja. Also ich habe letztes Jahr den Versuch selber gemacht, war auf dem Oktoberfest auf einer Veranstaltung und habe tatsächlich den ganzen Abend nur alkoholfreies Bier getrunken und das hat auch funktioniert. Und ich habe mich sehr wohlgefühlt und habe beschlossen, dass das durchaus Zukunft hat für mich, dieses Modell, also das ist auf jeden Fall gut. Aber wir wollen uns ja mit dem Buch beschäftigen und das der Aufhänger eigentlich für unser heutiges Treffen ist, es geht um „Betrunkenes Betragen“, dass Sie ins Deutsche übertragen haben, nach mehr als 50 Jahren. Auf dem Buch steht, wiederentdeckt von Jakob Hein. Also wiederentdeckt heißt ja, da ist ein Prozess gewesen. Wie kamen Sie denn zu dem Manuskript der beiden US-Forscher und wie kam dann die Idee, dass ins Deutsche zu übersetzen?

Jakob Hein: Mein alter Chef hat mir das in die Hand gedrückt, Professor Heinz, der hat gesagt: „Hier, das müssen Sie mal lesen.“ Und dann habe ich ihn groß angeguckt und habe es gar nicht verstanden. Weil, eigentlich ist ja die Aufgabe von einem Universitätsdirektor, dass er eben sagt, ja, lies mal die Papers der letzten zwei Jahre und nicht, hier, lies mal ein 40 Jahre altes Buch, also das war echt ein Überraschungsmoment. Und dann habe ich es eben zur Hand genommen und gelesen, weil es mich interessiert hat. Das war jetzt kein regelmäßiges Ereignis, dass er mir irgendwie Bücher in die Hand gedrückt hat. Und ich war wirklich echt begeistert von dem Projekt, als das die beiden da gemacht haben und von den Forschungsergebnissen. Die waren für mich auch, ja, da fiel es mir wirklich wie Schuppen von den Augen, wie man so sagt, also das war wirklich beeindruckend, die Ergebnisse zu sehen und auch sehr, also für mich zumindest, sehr überzeugend. Die beiden gucken sich ja wissenschaftliche Ergebnisse und Beobachtungstagebücher, Aufzeichnungen von den verschiedensten Kulturen, über die ganze Welt an und wie die auf Alkohol reagieren und können so ein bisschen eben objektiviert eigentlich sagen, wie Menschen oder wie die Psyche des Menschen auf Alkohol reagiert. Und das Ergebnis war wirklich auch alles andere als das, was ich erwartet habe. Als ich beobachtet habe, dass auch in den zehn darauf folgenden Jahren diese Erkenntnisse sich überhaupt nicht verbreiten, also weder in der wissenschaftlichen Community, da noch am ehesten, da gibt es so ein paar Erkenntnisse über die wir vielleicht noch sprechen können, aber schon gar nicht in der allgemeinen Gesellschaft, dachte ich, vielleicht kann ich das Buch übersetzen. Es ist noch nie ins Deutsche übersetzt worden und vielleicht setze ich mich einfach mal hin und übersetze das. Das einfach mal war der große Fehler, also es ist schwer zu übersetzen, es ist eine große Kunst. Und wenn man das nicht kann, so wie ich oder wenn man das noch lernt, so wie ich, dann dauert das wahnsinnig lange, so ein Buch zu übersetzen. Aber ich kann sagen, das hat mir viel Spaß gemacht und viel mehr gegeben als es mir abgefordert hat.

Markus: Ja, das haben Sie ja auch in der Einladung ja schon beschrieben, was das für Sie für ein Prozess war, sich diesem Buch oder der Aufgabe zu stellen. Damit wir unsere Hörerinnen und Hörer ein bisschen anholen, also Sie sagen, es geht drum, sie haben beobachtet in verschiedenen Kulturen, wie mit Alkohol umgegangen wird. Letzten Endes kann man ja sagen, es kommt zu einer Trennung zwischen der reinen physischen Wirkung von Alkohol. Wenn ich also die Substanz Äthanol trinke, was passiert bei mir im Körper? Was relativ überschaubar ist, über eine Ermüdung letzten Endes bis, wenn man zu viel nimmt, bis zum Tod. Aber die anderen Erscheinungen, die wir jetzt landläufig damit verbinden, also in unserem Kulturkreis, Leute werden irgendwie lustig und dann werden sie vielleicht irgendwie dumm oder fahrlässig oder so, diese Dinge haben ursächlich überhaupt nichts mit dem Alkohol zu tun, weil in anderen Kulturen wieder ganz andere Verhaltensweisen sind. Kann man das so in etwa sehen, oder?

Jakob Hein: Das haben Sie sehr gut beschrieben. Also die Kunst der Psychiatrie besteht ja immer darin, dass man die verschiedenen Teile der Psyche auseinanderbastelt. Also das man sich anguckt, wie ist das Bewusstsein? Ist das klar, ist das getrübt, ist das da, wie ist die Orientierung, also weiß der, wer er ist, wo er ist und unter welchen Umständen er sich befindet, also man klamüsert das so auseinander. Und die Autoren sagen eben, okay, lass uns mal die physiologischen Wirkungen des Alkoholeinflusses gucken. Also wenn wir im Westen Alkohol trinken, dann wird unser Grobmotorik schlechter, unsere Feinmotorik schlechter. Lass uns jetzt mal 200 Kulturen überprüfen, die auch alle Alkohol trinken. In Klammern, es ist ja schon auch eine beeindruckende Aussage, dass man schon merkt, dass in fast allen Weltteilen und durch all die Jahrhunderte getrunken wurde. Mit der großen Ausnahme vom Norden Amerikas, wo das dann definitiv weiße Siedler erst hinbrachten. Na gut und dann hat man gesagt, okay und jetzt lass uns auch mal die psychologischen Wirkungen abgucken. Lass uns mal gucken, wie verändert sich das Verhalten von verschiedenen Gesellschaften, die man beobachten konnte in den Jahrhunderten, also wie sich die verschiedenen Gesellschaften begegnen, also der Westen sozusagen, auch andere Gesellschaften, muss man natürlich dazu sagen, erforscht. Und da blättert sich plötzlich eine riesiges Spektrum an Verhaltensmöglichkeiten auf. Also es gibt Menschen in Bolivien, Gesellschaften in Bolivien, da ändert sich durch den Einfluss von Alkohol im Verhalten absolut gar nichts. Also alle sind der festen Überzeugung, dass sich nichts ändert und es ändert sich nichts. Die Leute trinken, bis sie total betrunken sind, also sie trinken ein 96%-Getränk, was Alkohol heißt, also das passt von der Beschreibung und sie trinken bis sie umfallen und gehen ins Bett und nichts ändert sich am Verhalten. Es gibt Völker, die werden unheimlich enthemmt, so wie wir das auch kennen. Also diese Völker und Gesellschaften gibt es in der ganzen Welt, aber es gibt auch genauso Gesellschaften, die eher gehemmt werden. Es gibt Gesellschaften, die in der höchsten Alkoholwirkung gemeinsam singen und sich in den Armen liegen, aber so fröhliche, friedvolle Lieder und wo es absolut unbekannt ist, das auch nur eine einzige Gemeinheit gesagt wird unter Alkoholeinfluss, geschweige denn, dass es da irgendwie zu Schlägereien kommt. Also es ist wirklich ein riesiges Spektrum, was sich da plötzlich öffnet und wo einem klar wird, die Wirkung des Alkohols auf die Motorik ist vorhersehbar, gesetzmäßig und immer wieder reproduzierbar. Die Wirkung des Alkohols auf die Psyche ist äußerst unvorhersehbar und offensichtlich ganz stark kulturell geprägt.

Markus: Das heißt, Kulturen vererben die vermeintliche Wirkung von Alkohol, wenn man bei uns gelernt hat, das macht irgendwie lustig? Also ist das dann in der DNA oder ist das was, was man als Kind lernt oder wie kann man sich das vorstellen?

Jakob Hein: Ja, das lernt man leider auch schon von Kindesbeinen an, also wenn man den Vater in den Biergarten begleitet. Im Übrigen ist es so, dass zum Beispiel Gewalt unter Alkoholeinfluss auch sehr stark abgenommen hat, sodass das auch weniger beobachtet wird und dadurch auch weniger reproduziert wird. Naja, also die Erklärung der Autoren ist, und die ist am naheliegendsten, also wir merken natürlich, dass wir Alkohol getrunken haben. Der Alkohol ist ganz klar eine neurotoxische Substanz, wir merken jetzt irgendwie, wir sind langsamer, die Zunge ist schwerer, wir reden verändert. Wenn wir aufstehen, um aufs Klo zu gehen, dann stoßen wir uns irgendwie schnell auch mal an der Tischkante oder so. Und wir haben die Beobachtung gemacht und machen immer wieder die Beobachtung, dass Menschen in diesem Zustand so und so sind. Und dann fangen wir auch an, diese Verhaltensweisen auszuprobieren beziehungsweise wir verhalten uns so. Ich sage mal auch ein klassisches Beispiel, zum Beispiel ist es ja interessant, also das Alkohol ja auch eine sexuelle Enthemmungswirkung nachgesagt wird. Das würde ja bedeuten, dass jetzt aber so im Männerkegelverein, dass da auch es ziemlich viel zu Homosexualität kommt. Ist aber überhaupt nicht was, was üblicher Weise passiert. Sondern eben bei der Betriebsfeier, wo männliche und weibliche Kolleginnen miteinander feiern, da plötzlich erwacht sozusagen der Tiger und die Leute fangen an, naja, sich komisch auch sexualisiert zu verhalten. Teilweise war ich schon auf so Empfängen, so ganz vornehmen Empfängen mit Frack und Smoking und ganz viel Dekorum und da haben die Leute auch sehr viel Alkohol getrunken, das war so die Tradition und da hat sich niemand auch nur ein bisschen auffällig verhalten, weil das eben so ein klares gesellschaftliches Korsett war, in dem man da miteinander steckte und auch gerne steckte, dass niemand auf den Gedanken gekommen wäre, auch nur ein Lied laut zu pfeifen, weil man ja da auch in diesen gesellschaftlichen Schranken steckt. Also wenn man darauf achtet, wie verschiedenen auch einzelne Menschen sich unter Alkoholeinfluss verhalten können, dann ist man ja noch mal erstaunter.

Markus: Kann man dann vielleicht sagen, dass man so eine Art Verhaltenskatalog für sich entwickelt, der mit Alkoholkonsum einhergeht und je nachdem, in welcher Situation ich bin, in welcher Stimmung ich vielleicht bin, was ich erreichen will, wird es, sage ich mal, unterbewusst ausgesucht, welches Verhalten ich dann zeige oder ist das was Bewusstes?

Jakob Hein: Ja, auf jeden Fall. Also wenn Sie im Stadion ein alkoholfreies Bier ausschenken von bester Qualität, also wo eben nicht sofort die Trinkenden merken, dass sie alkoholfreies Bier trinken, werden die sich ziemlich unpassend benehmen. Und wenn man sie hinterher fragt, na, sag mal, warum hast du denn hier diese ekelhaften Sprüche ins Rund gegrölt, dann werden sie sagen, naja, musst mir schon verzeihen, ich war betrunken. Und die gleiche Person, die sich da in der VIP-Lounge von der Allianz Arena gepflegt gehen hat lassen, wird die doppelte Menge Alkohol beim Vorstandsempfang trinken am Tag drauf und würde niemals auf den Gedanken kommen, ein falsches Wort zu sagen, weil sie sich ja da vielleicht auch beobachtet fühlt. Also das ist definitiv so, wir haben so ein paar Anlässe, wo wir uns zusammenfinden und wo wir dann eben gelernt haben, dass der Alkohol eine gute Entschuldigung für alles ist. Also das ist auch schon in den Gesellschaften, die da die beiden Autoren beschrieben haben, ist das schon bekannt und das ist ja auch in Deutschland, glaube ich, was ganz Bekanntes, dass eben zum Beispiel die schlauen Leute natürlich bei der Betriebsfeier dann eher zu den alkoholfreien Alternativen greifen, um dann bei den sich vielleicht ergebenden sexuellen Gelegenheitsbekanntschaften mehr Spaß und mehr Genuss zu haben, als sie dies hätten, wenn sie schon ziemlich fast betrunken wären, um dann gar nicht so sexuell so ein richtig schönes Erlebnis hinzukriegen.

Markus: Ja, so kann man das natürlich auch sehen und das kann ich durchaus auch nachvollziehen. Andersrum gefragt, wenn dem so ist, warum trinken die Gesellschaften überhaupt? Also wenn Sie jetzt sagen, da gibt es eine Gesellschaft, die sich im Grunde überhaupt nicht verändert, also die trinken, bis sie umfallen, trotzdem fühlen sie sich ja wahrscheinlich am nächsten Tag, also zumindest sowas wie Kopfweh oder sowas, wird man ja mindestens haben, also wäre das doch eigentlich gelernt, dass man das lieber lässt. Also warum machen die das?

Jakob Hein: Also diese Gesellschaft, die Aritama in Bolivien, sind die absolute Ausnahme. Die meisten Gesellschaften nutzen natürlich, so wie wir, den Alkoholgenuss oder den Konsum von Alkohol als Auszeit und jede Gesellschaft auf der ganzen Welt auch, die Gesellschaften Nordamerikas haben diese Auszeiten. Wir haben das immer, wir brauchen eine Zeit, so sieht man das überall auf der ganzen Welt, wo wir einfach mal sagen dürfen, wir steigen aus dem Anzug, wir dürfen jetzt mal nicht so sein, wie wir sonst immer sein müssen. Es gibt bei den Amish, die ja auch sehr vielen Regeln unterliegen, gibt es eben das Rumspringen, wo die Jugendlichen dann eben auch mal, wie wir in Deutschland sagen, die Hörner abstoßen dürfen und so weiter. Und diese Auszeiten sind sehr beliebt und auch Jahrtausende alt, überall bekannt und dafür nutzen wir den Alkohol oder nutzen wir im Moment alkoholische Getränke. das ist total normal und auch total zu verstehen, solange niemand anders dadurch zu Schaden kommt. Und das wäre meine ganz wichtige Einschränkung, also dass das schon okay ist, wenn man im Stadion grölt, also das macht wirklich total viel Spaß, wenn die eigene Mannschaft vielleicht sogar noch grad gewinnt. Obwohl, bei den sehr, sehr guten Fankulturen, muss man sagen, macht es eben auch Spaß, wenn die eigene Mannschaft grad nicht unbedingt gewinnt. Aber, was ich sagen will ist, aber wenn eben dann andere dadurch zu Schaden kommen, kann man schon sagen also, dann ist es eben nicht okay. Und man muss eben, wenn man ganz ehrlich ist, ist Alkohol dafür keine echte Entschuldigung. Es ist nicht so, dass wir uns so benehmen mussten, weil wir Alkohol getrunken haben und wir sollten auch als Gesellschaft nicht sagen, ah, okay, naja, kein Problem, wenn du betrunken warst, da fährt man schon mal ein Kind um oder da landet schon mal die Hand an Körperteilen von einer Frau, wo sie nicht hingehört. Also ich finde, das ist so ein ganz entscheidender Punkt. Und im Übrigen, wenn wir jetzt hier in der BierAkademie auch sprechen oder beim BierTalk sprechen, ist auch ein Punkt, wo ich denke, das ist eben auch nicht zu rechtfertigen und dass wird auch, also so eine schöne Zukunft für das Genussmittel Bier, wird es eben auch nur dann geben, wenn man nicht wilde und ekelhafte Alkoholexzesse verteidigt, sondern wenn man sagt, unser Thema ist definitiv Genuss und Braukunst und nicht Hektoliter Weise Besäufnisse, wo dann am Ende einfach gesellschaftliche und gesundheitliche Schäden zu konzertieren sind.

Markus: Ja, als kleiner Einschub, wenn Sie die Sendung mit dem Herrn Lanz auch gesehen haben, da war ja am Schluss noch auch das Thema Alkohol noch mal direkt präsent. Und was mich ein bisschen schockiert hat war, dass da letzten Endes die These aufgestellt worden ist und zwar sehr schlüssig, dass es dieses, sagen wir mal, Genusstrinken in der Form eigentlich gar nicht gibt, sondern dass wir im Grunde immer in einem fließenden Übergang sind, die einen mehr, die anderen weniger und Alkohol per se sehr schädlich ist, auch in kleineren Mengen, egal in welchen Mengen eigentlich und wir auf jeden Fall uns schädigen, wenn wir sehr viel davon oder wenn wir überhaupt davon konsumieren. Also wie geht man denn damit um?

Jakob Hein: Naja, Frau Graßnickel ist eben sehr streng und sie hat ja auch recht auf ihre Art, also ja, die hat Recht, Punkt! Also um Himmels Willen, ich will mich davon keinesfalls distanzieren. Genau, aber die Frage ist ja bei so großen gesellschaftlichen Themen, bei Alkohol in Deutschland, also da sind wir wirklich, das ist ein Ozeandampfer und die Frage ist so, wo wollen wir in 20 Jahren sein? Wollen wir in 20 Jahren genau da sein, wo wir jetzt sind, wollen wir in 20 Jahren bei dem Thema ein bisschen weniger konsumieren oder wollen wir in 20 Jahren bei dem Thema ein bisschen mehr konsumieren? Und das ist einfach realistisch. Und ich glaube, also dass wir wirklich sofort eine Revolution auslösen würden, wenn wir morgen den Alkohol in Deutschland verbieten würden. Also weil, wie gesagt, also das Thema Auszeit ist schon auch normal. Und natürlich, es ist auch so ein bisschen wie so eine Herausforderung. Also wir wissen zum Beispiel nicht, wie viele Leute in Deutschland eine Allergie gegen, ich überlege grade, eine Allergie gegen Safran haben. weil nur wirklich ein kleiner Teil von Menschen Safran in seinem Küchenschrank hat und dieser kleine Teil das auch immer nur in kleinen Dosen anwendet, also wissen wir nicht. Beim Alkohol, wissen wir schon ungefähr, wie viele Leute das Risiko haben, in einen riskanten problematischen Alkoholkonsum zu kommen, weil einfach jetzt der trinkt. Also es gibt nur ein ganz kleines Segment der Bevölkerung, die nie ein Glas Alkohol angerührt haben und dann noch mal ein etwas größeres Segment der Bevölkerung, die wirklich extrem wenig trinken und das nicht herausfinden würden, ob sie die Anlage zum Alkoholismus in sich haben. Der größte Teil der Bevölkerung probiert, dieses herauszufinden und dadurch ist das natürlich alles wirklich betrüblich und schlecht und ist auch ein gesellschaftliches Problem und so. Und ich denke eben auch, dass wir durch die Sanktionierung von Alkoholverhalten, sind wir, glaube ich, auf dem falschen Weg. Also wenn wir sagen, ja, es ist in Ordnung, dass diese Person diese strafwürdige Handlung begangen hat, weil sie war ja betrunken, ich glaube, dass das ein verlorener Posten ist, also ich glaube, dass das falsch ist und ich glaube, dass das auch nicht das sein wird, wie es gesellschaftlich weiter sein wird. Ich glaube, wir sollten alle bereit sein, die Verantwortung für uns zu übernehmen als erwachsene Menschen, unabhängig davon, ob wir nüchtern oder betrunken sind.

Markus: Ja und das würde ja auch bedeuten, dass wir sagen können, wie Sie es grade schon gesagt haben, was das Thema Gewalt angeht, wenn ich immer weniger diese Verhaltensweisen habe, dann wird immer weniger davon gelernt. Dementsprechend könnte man ja vielleicht da mittelfristig, wenn man daran auch arbeitet, dafür sorgen, dass die nächsten Generationen eben auch immer weniger nicht positive Verhaltensweisen zeigen beim Alkoholkonsum. Wobei die ja letzten Endes auch immer mehr abstinent werden. Also da gibt es ja auch Untersuchungen, das wir schon von einem Drittel der jüngeren Generationen sprechen, die eben ganz bewusst keinen Alkohol mehr trinken wollen, auch das ist ja durchaus ein Thema. Ja, ich wollte noch ganz kurz auf 1969 eingehen, also damals wurde dieses Buch veröffentlicht. Wissen Sie, wie die Rezeption damals war? Sie haben ja schon gesagt, das ist kaum irgendwie bekannt geworden, aber eigentlich ist das ja schon ein Hammer grundsätzlich, aber es ist offensichtlich so nicht rübergekommen.

Jakob Hein: Also es ist in der psychiatrischen Fachwelt und in der Suchtforschung, ist es ein absoluter Klassiker und ist auch zum Klassiker geworden. Es ist ja auch noch mal so vor 10 Jahren oder so, also nachdem mein Chef mir das schon gegeben hatte, hatte auch noch mal so Malcolm Gladwell, der ja ein sehr einflussreicher Autor ist, hatte auch noch mal gesagt, das ist eins der interessantesten Bücher, was er je gelesen hat. Also dieser Trend, also das wollte ich noch mal kurz sagen, dieser Trend so, dass man durch Anthropologie mal probiert, den Sachen auf den Grund zu kommen, der ist schon sehr, sehr interessant. Also dass man eben so sagt, okay, es gibt ja diesen Mythos, dass zum Beispiel das Geld eben genutzt wurde als Tauschmittel. Also dass es eben so schwer war, zwei Hühnern gegen zwei Lederschuhe zu tauschen und deswegen hat man Geld entwickelt, damit man eben ein Äquivalent hat, wie viele Hühner einem Paar Lederschuhe entsprechen, was weiß ich. Und wenn man das eben erforscht anthropologisch und zurückgeht zu den Ursprüngen des Geldes und den ersten Erwähnungen des Geldes, findet man raus, das ist Quatsch, dafür war Geld nie da, sondern Geld war immer dafür da, um Schulden abzubilden gegenüber dem Staat oder des Staates gegenüber den Individuen. Und wenn man jetzt beim Alkohol ist, also eine solche Studie wäre heute gar nicht mehr möglich, weil heute durch die kulturelle Angleichung, also dadurch, dass alle Barbie gucken, dadurch, dass alle , ich weiß es nicht, Der Pate geguckt haben, also ich habe jetzt überlegt, in welchem Film Alkohol eine große Rolle spielt, dadurch findet auch eine starke kulturelle Annäherung aller Gesellschaften und aller Völker statt. Und diese anthropologischen Beobachtungen sind eben ein einmaliges Beispiel, um sich das eben angucken zu können. Also weil im Grunde genommen beobachte, wenn ich jetzt trinke, verhalte ich mich ja so, wie ich beobachtet habe in den Jahrzehnten meines Lebens, wie Menschen sich verhalten, wenn sie Alkohol getrunken haben. Das heißt, ich bin nicht unabhängig und werde nie unabhängig von der Kultur sein, in der ich aufgewachsen bin. Und, jetzt und insofern ist an dieser Stelle sozusagen diese Art der Analyse sehr gut. Und das ist eben auch damals gut aufgenommen worden, 69. Und, sagen wir mal so, meine Übersetzung wird jetzt erst mal auch sehr gut aufgenommen. Inwieweit das was zu verändern mag, das weiß man ja vorher nie.

Markus: Naja, wir werden auf jeden Fall auch versuchen, dazu beizutragen, dass es ein bisschen in die Gesellschaft kommt. Sie haben ja auch gesagt, das war eine der Herausforderungen beim Übersetzen, dass man eben diese über 50 Jahre alte Quelle hat, die wiederum andere Quellen bedient, die eben sich mit indigenen Völkern beschäftigen, mit eben diesen anderen Kulturen, mit Namen, mit Ortschaften, die man kaum einfach übersetzen kann vom Englischen aufs Deutsche, weil es dann einfach nicht passt. Und weil natürlich auch die Haltung, also wenn man überlegt, 1969, da war Martin Luther King grade erschossen worden, der Vietnam-Krieg hat angefangen, all diese Dinge. Das war eine ganz andere Zeit, da hat man anders auch aufeinander geschaut, auch auf die Bevölkerung, auf indigene Völker zum Beispiel. Wie war das so bei der Übersetzung?

Jakob Hein: Das war die größte Herausforderung natürlich, dass ich eben probiert habe, eben das Buch in einer Sprache zu veröffentlichen oder zu schreiben, die gut ins Heute passt, ohne natürlich irgendwas zu verbiegen. Die Berichte der Kolonialisten und dieser, ja, Jesuiten oft, die da die anderen Gesellschaften beobachten, die sind oft natürlich von absolut extremen Rassismus geprägt. Also die gehen schon davon aus, dass es eben andere Menschen sind oder, ja, eine ganz andere Art ist, die sie da beobachten. Je länger die da sind, desto mehr stellen die fest, dass es einfach auch nur Menschen sind. Aber das ist natürlich etwas, was ich nicht verfälschen darf. Das ist Quatsch, also dann muss ich das streichen oder so, die Stelle, wenn ich sie zu unerträglich finde. Aber den Text zumindest, den Text des Buches, den Kerntext, da habe ich eben zum Beispiel darauf verzichtet, von Stämmen zu sprechen, das war damals was ganz Übliches, man sprach von Stämmen und Häuptlingen, aber eigentlich meinte man immer Gesellschaften. Und ich habe dann probiert zu überlegen, was will ich denn dann immer schreiben und dann habe ich mich für den Begriff Älteste entschieden. das gibt es ja auch in Gesellschaften, die in Westeuropa sind, wo man eben auch davon spricht. Weil der Stamm sind immer die anderen, also wir sind immer nicht der Stamm, wir sind eben eine ordentliche Gesellschaft und die anderen, die haben immer Stämme. Und diese Art von Abgrenzung halte ich für völlig falsch und in dem Kontext verfehlt, da musste ich echt einiges machen. Ich musste ja teilweise probieren, die Originalquellen zu finden, insbesondere wenn die auf Deutsch veröffentlicht war, dann konnte ich jetzt nicht einfach mir das Deutsche aus dem englischen Text erschließen. Und irgendwelche Sachen wie ChatGPT oder so, waren mir da auch überhaupt nicht hilfreich, weil die ja überhaupt kein Verständnis für diese Themen haben, an denen ich da gearbeitet habe.

Markus: Ja, das kenne ich durchaus auch von meiner Arbeit. Ich habe auch die ein oder anderen Bücher verfasst, zum Beispiel auch zur Biergeschichte und habe dann viel auch eben recherchiert bei den ganzen historischen Quellen, grade von den Überlieferungen der Konquistadoren und die ersten religiösen Eiferer, die dann mit rüber sind und die Leute eben christianisieren wollten oder haben und wie die dann über die Völker geschrieben haben. Auch zum Beispiel sowas wie den Kakaogenuss, also was mit Alkohol ja erst mal nicht so viel zu tun hat, aber auch da, das ist ja ähnlich. Und dass ist wirklich gar nicht so einfach, dass die Grenze eben zu ziehen, wo ist es was, wo die halt schreiben wie sie denken, dass es sein muss und das, was sie wirklich gesehen haben, das ist schon auf jeden Fall spannend.

Jakob Hein: Ja, ja, genau, das ist eine sehr gute Beobachtung. Also auch ich, ich habe mal eine Studie gemacht, wo ich eben alte Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus von vor 50 Jahren mir angucken musste. Da ging es um Menschen mit Autismus, die dann gestorben waren, deren Gehirne hatten wir und da ging es eben darum sozusagen, Assoziationen zwischen Zellstrukturen und Verhalten zu machen. Und man muss wirklich sagen, die Berichte der Ärzte waren völlig nutzlos, weil die immer nur ihre Interpretation darein schrieben, die auch heute, also dann mit der heutigen Brille, also bizarr anmuteten, also es war völlig unempathisch und eben immer so abgrenzend herablassend pathologisierend. Und das Einzige, womit man was anfangen konnte, waren die Aufzeichnungen vom Pflegepersonal, weil die nämlich einfach schön beobachteten, schrieben, was ist passiert, wie war der Tag des Patienten, ja, wie hat das alles funktioniert, welche Schwierigkeiten hatte er, wie funktionierte die Nahrungsaufnahme, wie funktionierte die Kommunikation. Also man wirklich da an der Stelle sozusagen, so lange man beobachtet und probiert, neutral und rechtschaffend dass zu sagen, was ist, so lange muss man sich dann auch 20 oder 50 Jahre später nicht dafür schämen, was man da geschrieben hat.

Markus: Wir sind halt auch immer Kinder unserer Zeit. Und wenn man eben die gesellschaftlichen Entwicklungen sieht, dann ist es gar nicht so lange, wo wir sagen, wir haben sowas wie das, was wir als freiheitliche Gesellschaft bezeichnen, wo man eben neutrale Informationen hat und sich bemüht, auch neutral Dinge darzustellen, das ist noch nicht so alt. Also insofern ist alles, was davor war, eben immer irgendwie gefärbt und in gewisser Weise auch Propaganda gewesen. Von dem einen oder anderen, je nachdem, jeder hatte seine Interessen. Und das ist wirklich immer schwierig, diese verschiedenen Brillen und Hüte zu unterscheiden und das ein bisschen rauszufiltern. Und manchmal geht man dem auch auf den Leim, also das passiert.

Jakob Hein: Auf jeden Fall und das ist auch nicht schlimm. Ich dachte eben auch, als ich es dann gemacht habe, meine Übersetzung, dachte ich eben auch, ist alles nicht schlimm. Ich hoffe, dass das auch Leser und Leserinnen, die das in 50 Jahren lesen vielleicht, dass die auf jeden Fall ein Gefühl haben, dass ich das rechtschaffend gemacht habe. Dass sie denken, woah, das ist heute gar nicht mehr denkbar so, dass zu schreiben, aber er hat es gut gemeint oder es ist auf jeden Fall, wir verstehen, dass er nicht von Hass zerfressen war bei dieser Übersetzung, und solange ist das alles okay.

Markus: Ja und ich würde noch gerne auf einen Aspekt kurz eingehen, den Sie schon erwähnt haben, nämlich den Punkt, dass ja unser Strafrecht zum Teil darauf basiert, dass es eine Schuldminderung oder Schuldunfähigkeit gibt, wenn jemand entsprechend Alkohol konsumiert hat. Und dass ist ja tatsächlich was, was auch vor Gericht so gemacht wird, wo auch Gutachten erstellt werden und so. Ist das dann jetzt nicht etwas, wo das eigentlich nicht mehr haltbar ist? Also nach diesen Forschungsergebnissen müsste man doch dann eigentlich sagen, jede Art von Urteil, das darauf basiert, dass der Typ ja gar nicht anders konnte, weil er halt betrunken war, ist per se dann falsch?

Jakob Hein: Ich halte das für falsch, ja. Also ich denke, man sollte die Forschungsergebnisse dieses Buches, die ja doch also umfangreich sind, also wir sprechen ja jetzt nicht von der Beobachtung von einer Kultur auf einer japanischen Insel, sondern wir sprechen ja hier von einem riesigen Korpus von anthropologischer Forschung. Und letztendlich auch, wenn wir ehrlich  zu uns sind, auch von Ergebnissen, ja, die wir selber sehen. Also was ich vorhin sagte, der Vorstandsvorsitzende, der im Stadion grölt und dann eben bei der Sitzung ganz gesittet sich verhält, obwohl er vielleicht im Stadion sogar alkoholfreies Bier bekommen hat und bei der Sitzung jetzt Bier mit Alkohol trinkt. Also wir wissen ja, dass das alles gar nicht objektiv ist. Und eigentlich ist es so, wenn jemand zum Beispiel eine Gewalttat begeht unter Alkoholeinfluss, dann hat der sich eigentlich mehr Mühe gegeben. Er müsste eigentlich stärker bestraft werden, weil eigentlich seine Koordination überhaupt nicht verbessert war, seine Grob- und Feinmotorik gestört waren, eigentlich sine Fähigkeit, zum Beispiel jemanden hinterherzulaufen oder schnell den Arm zu bewegen, eingeschränkt waren, er eigentlich müde war und ins Bett wollte und musste und vielleicht sogar damit gekämpft hat, sich zu übergeben. Und trotz all dieser Schwierigkeiten, trotz einem Riesen Rucksack und Hindernissen, die er getragen hat, hat er sich die Mühe gemacht, noch jemand anderen zu verletzen, also eigentlich müsste das stärker bestraft werden. Und im Moment kann es einem passieren, dass man zu mindestens stark eingeschränkt bestraft wird oder nur dafür bestraft wird, dass man den Alkohol getrunken hat, ich halte das für sehr, sehr stark hinterfragbar. Und ich halte das auch für wichtig, das zu hinterfragen, weil wir ja sonst irgendwo an einer gesellschaftlichen Stelle hängen. Es ist ja im Moment problematisch, also es ist ja günstig, unter bestimmten Umständen betrunken gewesen zu sein. Es gibt eben, so wurde mir eben erzählt, es gibt eben Juristen, die ihren Mandanten eben unter der Hand sagen, wenn die nachts anrufen, oh Gott oh Gott, pass auf, geh Nachhause und trink dir so richtig einen rein, damit du dann Morgen bei der Blutuntersuchung einen ganz hohen Promillegehalt hast. Dann kriege ich dich irgendwie vom Haken, ansonsten sieht es ganz schlecht aus für dich.

Markus: Eben, also dann kann Alkohol ja sogar die Funktion bekommen, jemanden zu entschuldigen sozusagen. Und dass darf es, denke ich, auf gar keinen Fall sein.

Jakob Hein: Das macht überhaupt keinen Sinn, ja.

Markus: Ja, da gibt es viele Lehren, die wir als Gesellschaft und auch als Individuen da irgendwie draus ziehen sollten. Und das ist hoffentlich auch ein guter Anreiz für möglichst viele, die uns jetzt eben zu hören oder lesen, sich dann auch das Buch anzuschaffen und reinzulesen. Hat sich denn Ihre Selbstwahrnehmung verändert durch diese Arbeit?

Jakob Hein: Total, also ganz stark, also es hat mir sehr geholfen. Ich weiß, also ich habe eigentlich immer probiert, Verantwortung für mein Verhalten zu übernehmen. Und ich fand das immer so unangenehm, so Menschen zu treffen, die sich völlig anders verhalten unter Alkoholeinfluss, das war mir immer sehr unangenehm. Also Stichwort ist, es kann nichts rausrutschen, was nicht vorher da war. Dass ist für mich oft so, also es hat bei mir auch so ein, zwei Bekanntschaften, Freundschaften würde ich nicht mal sagen, beendet. Und außerdem, genau, hat es mich eigentlich auch sehr viel freier und fröhlicher gemacht. Und dachte eben auch immer, Mensch, guck mal, all die Sachen, die ich mache, von denen ich dachte, dass ich die nur machen kann, wenn ich betrunken bin, die kann ich einfach machen, dass ist, ich kann das einfach und ich muss dafür nicht betrunken sein. Ja, ich tanze seitdem lieber, ich erfreue mich viel mehr auch an alkoholfreien Getränken oder, ja, alkoholfreien Cocktails oder Bieren und, ja, mein Leben hat sich weiter verbessert.

Markus: Ja, dem kann man eigentlich nichts mehr hinzufügen. Vielen, vielen Dank, auch, dass Sie dadurch hoffentlich viele andere leben verbessert haben oder zumindest den Anreiz gegeben haben, dass man das tun kann.

Jakob Hein: Ich danke Ihnen.

Markus: Vielen Dank für diese wunderbare Arbeit und alles Gute weiterhin und viel Spaß und Freude beim alkoholfreien Bier.

Jakob Hein: Ja, vielen Dank für die Einladung.

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