Laura Dietrich forscht zur Urgeschichte der menschlichen Kultur und hat sich dabei fast ein bisschen zufällig auch dem Thema Bier gewidmet. Schließlich war sie bei den Ausgrabungen am Göbekli Tepe persönlich vor Ort und hat somit Hand angelegt an sehr frühe Funde von bewusst fermentierten Getränken auf Getreidebasis, landläufig „Bier“ genannt. Um ihre Thesen zu beweisen, begab sie sich mit ihrem Team auf das Feld der experimentellen Archäologie und braute selbst mit Kopien der gefundenen Gefäße und Materialien ein prähistorisches Bier. Das Resultat hatte gut 2% Alkohol und einen leicht rauchigen Geschmack – und bewies, dass es tatsächlich möglich war, mit den Verhältnissen und Gerätschaften von Gobekli Tepe vor über 10.000 Jahren ein Bier zu brauen. Im BierTalk lassen wir diese Reise nochmals Revue passieren und sprechen über die neuesten Forschungen von Laura Dietrich und ihre ersten Erkenntnisse daraus…
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Markus Raupach: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcasts BierTalk. Heute mal wieder eine Reise in eine andere Dimension und zwar in die historische Dimension, wir gehen weit zurück in die Geschichte, wir treffen die Prähistorikerin Dr. Laura Dietrich. Sie ist schon seit Langem unterwegs und forscht eben über die historischen Wege nicht nur Bier zu brauen, aber eben auch und hat viele Versuche schon angestellt und wir sind sehr gespannt. Erst mal vielen Dank, Frau Dietrich, dass Sie hier sind und vielleicht stellen Sie sich unseren Hörern ganz kurz selbst vor.
Laura Dietrich: Hallo, vielen Dank für Ihre Einladung, Herr Raupach, ich freue mich, hier heute zu sein in diesem Podcast. Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin an der österreichischen Akademie der Wissenschaften inzwischen geworden. Ich habe jahrelang in Deutschland gearbeitet, am Deutschen Archäologischen Institut in der Orientabteilung und bin auch Ernährungsarchäologin. Ich beschäftige mich insbesondere mit dem Thema Ernährung inklusive frühen Alkohol in der Vorgeschichte und mit dem Ursprung, ja, der Lebensmittelindustrie, der Cuisine, wie man so sagen würde.
Markus Raupach: Ja, na, das klingt ja spannend in vielerlei Hinsicht. Haben Sie denn persönlich eine Beziehung zum Getränk Bier zum Beispiel oder zum Alkohol überhaupt?
Laura Dietrich: Wenn Sie mich damit fragen wollen, ob ich trinke, dann würde ich eher nein sagen, ich trinke eher selten, aber ich kann durchaus ein gutes Getränk oder ein gutes Bier schätzen. Und ich glaube aber, dass es im Ursprung dieses Phänomens nicht nur um den Geschmack geht, sondern auch um das Zusammensein. Es geht auch um Co-Mentalität, es geht auch um Zusammensein und zusammen Feste machen, das ist ja, was uns Menschen zusammenbringt letztendlich und darum geht es. Deswegen bin ich durchaus in der Lage, ein gutes Bier zu kosten ab und zu.
Markus Raupach: Ja, wunderbar, das reicht ja auch völlig, also wäre auch völlig in Ordnung wenn nicht. Aber ich denke, es ist eben ein Thema, das grade Bier natürlich eine Möglichkeit ist, eben zusammenzukommen, Freundschaften zu schließen. Und es kann auch ein alkoholfreies Bier sein, also das ist überhaupt gar kein Thema. Aber interessant finde ich schon, wenn man so in die Geschichte zurückschaut, dass Menschen dann eben auch gezielt alkoholische Getränke gemacht haben, um eben zusammen zu feiern. Und ich habe dann auch gelesen, später ging es auch darum zum Beispiel den Göttern nähern zu sein, also ein religiöser Aspekt. Haben Sie dazu auch schon Forschungen gemacht
Laura Dietrich: Was heißt hier später, ich denke, das wichtig ist auch früher, früher Aspekt, Religionen oder Kult. Wir nennen das Kult, wir nennen das nicht Region, wir prähistorischen Archäolog*innen, wir nennen das Kult. Also kultische Aspekte haben schon von Anfang an eine wichtige Rolle in der Produktion der Nahrung überhaupt bei den frühen Sammlerpopulationen und auch in der Produktion des Alkohols. Es ging darum, Kohäsion zu verschärfen, um Momente für die, ja, wir nennen sie nicht ungerne Gottheit, aber um sakrale Monumente zu bauen, darum ging es von Anfang an. Und man kann Kohäsion schaffen, wenn man zusammen Nahrung produziert, wenn man zusammen feiert auch. Und wir, die Menschen heute, ja, wir sind ein Produkt einer Singularität und das ist der Übergang zu einer, ja, von Jägern und Sammlern und sammeln von Produkten zu Ackerbau und zur Viehzucht. Wir sind das Produkt einer Singularität, was ungefähr 9500 vor Christus im Bereich des fruchtbaren Halbmondes in Vorderasien auch vorgekommen ist. Was dazu geführt hat, das Populationen, das mobile Populationen von Jägern und Sammlern sich gesetzt haben, sesshaft wurden und angefangen haben, die Kontrolle über ihre Umwelt zu nehmen. Pflanzen zu domestizieren, Tiere zu domestizieren und letztendlich Nahrung zu produzieren. Das ist vorher nie passiert. Wir wissen nicht, warum. Alkohol ist ein Teil dieses Phänomens, frühes Bier ist ein Teil dieses Phänomens. Kult ist ein anderer Teil dieses Phänomens. Wir wissen nicht, warum das so vorgekommen ist, aber wir sehen, dass die erste, ja, massenhafte Produktion von Nahrung im Bereich von monomentalen Bauten auftritt, wie in Göbekli Tepe, wie in Karahan, aber es gibt mehrere solcher archäologische Städte mit frühen Monumentalbauten. Wir reden hier von einem Zeitraum von vor 11.500 Jahren und das ist erstaunlich. Wir reden von einer Arbeitskraft, die uns heute wundersam erscheint. Das ist passiert, weil die Menschen, die sich dort gesammelt haben, die nötigen Ressourcen zur Verfügung hatten auch.
Markus Raupach: Ja, das ist ein ganz starkes Bild. Und ich muss sagen, so habe ich das selber noch gar nicht gesehen, ist aber völlig richtig, dass die Menschen eben sagen, okay, ich nehme nicht das, was ich zufällig finde und ich suche, sondern ich sorge selbst dafür, dass es Nahrung gibt und das ich das anbaue, dass ich eben die Kontrolle übernehme. Das ist ein ganz, ganz interessanter Aspekt, der mir so gar nicht bewusst war, aber ist natürlich völlig richtig. Und ist ein absoluter Paradigmenwechsel, das kann ich total nachvollziehen und richtet ja auch den Fokus dieser Gesellschaften völlig neu aus, weil dann geht es eben drum, sich zu ernähren, diese Sesshaftigkeit zu standardisieren, langfristig eben zu erhalten. Da sind wir jetzt auch eben schon bei dem Göbekli Tepe, den Sie schon erwähnt haben als so einen Hügel oder einen Berg in der Grenzregion zwischen Syrien und der Türkei. Vielleicht, wenn unsere Hörer nicht alle so vor Augen haben, vielleicht könnten Sie mal beschreiben, was ist das überhaupt? Also wie schaut es da aus, was finde ich da, ja, wie muss ich mir Göbekli Tepe heute vorstellen?
Laura Dietrich: Also Göbekli Tepe ist eine prähistorische Städte im Südosten der heutigen Türkei an der Grenze zu Syrien. Ungefähr ein paar Kilometer von der heutigen Stadt Sanliurfa entfernt und es ist nur empfehlenswert, diese Städte, die ein UNESCO Weltkulturerbe ist, zu besuchen. Denn bis 1995 als die Städte entdeckt oder beziehungsweise das Deutsche Archäologische Institut angefangen hat dort zu graben, hat man nicht gerechnet, das solche Monumente in dieser Zeit, wir sprechen von 9500 vor Christus, gebaut werden können. Es ist eine Städte, die aus Monumentalgebäuden besteht, sie sind gebaut aus Monolithen in Form eines T-Pfeilers, also in Form eines T, die mit einer Mauer zusammengesetzt sind und in der Mitte befinden sich zwei weitere Monolithen mit von bis zu fünf Meter und tonnenschwer. Es gibt auf dem Plateau, das ist eigentlich das Plateau eines Gebirges, also ziemlich hochgelegen, mehr als 20 solcher Monumentalgebäude, mit Durchmesser von bis zu 30 Metern. Es ist eine erstaunliche Arbeit, die mehrere 1.000 Jahre gedauert hat im Übrigen, diese Gebäude mit den prähistorischen Mitteln zu bauen. Die monumentalen Gebäude, die sind voll mit Symbolen, mit Elementen von Kult. Sie sind voll mit Art, mit prähistorischer Kunst, was auch erstaunlich ist, sie sind Skulpturen mit eingeritzten Reliefs. Und sie sind umgeben von 100en, etwas späteren rechteckigen Bauten, die dazu gedient haben, verschiedene anderen domestische Arbeiten, wie unter anderem auch Kochen und Herstellung von Bier, durchzuführen. Es gibt sehr, sehr viele Interpretationen über Göbekli Tepe, aber so genau wissen wir Archäolog*innen bis heute nicht, denn es ist so erstaunlich. Und heutzutage werden mehrere solcher Städte erforscht, es sind fünf bis sechs andere solcher Städte. Wir denken, dass diese, für die damaligen Verhältnisse, sehr, sehr großen Fundstädte nicht zum permanenten Wohnen sozusagen diente oder nicht nur, sondern auch als Versammlungsort, ursprünglich als Versammlungsort mehrerer Gruppen von Jägern, Sammlern dienten, die verschiedene Kultelemente dort vollführt haben, die unter anderen gezielt Anlagen gebaut haben mit verschiedenen Symbolen. Jede Anlage repräsentiert in ihrer Symbolistik eine andere Tierart. Also das heißt, in jeder von diesen Monumentalbauten sind bestimmte Tiere dargestellt in Skulpturen und in Ritzungen auf den T-Pfeilern. Eine Anlage hat beispielsweise Vögel als Tier, eine andere Anlage hat Schlangen als Tier. Also jedes Tier dominiert in dem ein oder anderen Gebäude. Wir denken, das hat sehr viele Ähnlichkeiten mit dem modernen Scharmanismus oder mit dem traditionellen Scharmanismus eher, wo die Menschen sich als Nachfolger von Tieren identifizieren, ja, unter anderen. Ja, das ist ein Aspekt von Göbekli Tepe. Ein anderer Aspekt ist, wie ich auch schon erwähnt habe, die menschliche Arbeitskraft, die an der Errichtung dieser Städte involviert waren. Es ist nicht selbstverständlich, dass mobile Gruppen von jeden Sammlern sich einfach zusammentun, dazu braucht es eine Organisation, dazu braucht es permanente Nahrung. Es ist nicht selbstverständlich, dass sie sich zusammentun, um solche Städte, wir nennen sie Kultstädte, zu errichten. Dazu muss es ein wichtiger Grund gewesen sein. Wir finden das in dem Kult und wir haben zu dem sehr viele archäologische Befunde, die daraus hindeuten, dass die Teilnehmer*innen an den Ritualen da auch zusammen Feste gefeiert haben.
Markus Raupach: Also das finde ich eine total faszinierende zeitliche Dimension auch. Also wen man überlegt, der Kölner Dom, der hat ja 630 Jahre gedauert, bis man ihn fertiggebaut hat. Und das war aber in einer Zeit, wo die Menschen schon organisiert waren und wo man die ganze Infrastruktur und so weiter hatte. Und jetzt sagen Sie, das waren Monumente, die hat man über 1.000e von Jahren errichtet, das heißt also, ohne diese ganze Logistik, die es im späten Mittelalter ja schon gegeben hat. Das muss ja, wie Sie schon gesagt haben, ein Wahnsinns Apparat drum rum gewesen sein. Was mich da noch interessieren würde, wenn wir jetzt zum Beispiel den Kölner Dom nehmen, dann kann man ja in diesen 600 Jahren auch sehen, wie sich die Fähigkeiten verändert haben im Laufe dieser 600 Jahre. Kann man das in Göbekli Tepe auch sehen, dass über diese Zeitläufe die Abläufe sich geändert haben oder die Kunst sich verändert hat oder dass die Fähigkeiten besser geworden sind, sagen wir so?
Laura Dietrich: Also die Fähigkeiten sind von Anfang an erstaunlich auch. Ich habe auch vorhin erwähnt, die Monumentalbauten, die sind früher, die sind von Anfang da, die werden zuerst gebaut und sie sind voll mit einer wunderbaren Kunst, ja. Man sieht Künstler am Werk, man sieht dort Leute, die geübt haben, es sind erstaunliche Reliefs. Und wir machen das grade experimentell nach. Im Museum Asparn in Wien haben wir mit einer Experimentalreihe angefangen, diese Kunst zu reproduzieren und es ist schwierig, wir sehen das jetzt. Die frühen Monumentalbauten, man sieht, dass man daran sehr lange und sehr gezielt und sehr schön daran gearbeitet hat. Die späteren Bauten, die Rechteckbauten, die sind, ja, symbolärmer, wenn man es so nennen darf. Also sie haben nicht mehr diese ganzen Skulpturen, sie haben nicht mehr die Reliefs, die verzierten T-Pfeiler, die früher üblich sind wie in den Monumentalbauten. Es handelt sich dabei um Monolithen, die anthropomorphisiert sind. Also das heißt, Elemente der menschlichen Pracht und menschlicher Körper übernehmen. Sie haben Arme, sie habe Gürtel, sie haben andere Klamotten drauf, sie haben in ihrer Präsentation andere Kleidung drauf. Das kommt später nicht mehr vor. Das ist aber ein Phänomen, was oft vorkommt in einem Kult, dass das einfach abstraktisiert so, ja. Also das man weiß, früher ist dort was passiert und man stellt das bildlich dar und bleibt, in Anführungszeichnen, nur das Symbol, aber man weiß trotzdem, was passiert ist. Man kennt aus den Erzählungen dieser früheren szenischen Darstellungen, aber man benötigt ihre genaue Darstellung nicht mehr.
Markus Raupach: Ja, eine Entwicklung, die ja auch zum Beispiel unsere modernen Religionen schon genommen haben. Wenn wir jetzt sagen, wir haben einerseits diese Kultstätten oder diese Monumentalbauten und andererseits auch eine sesshafte Siedlung oder eine dauerhafte Siedlung, die da eingerichtet worden ist, kann man da sagen, wie lange es die schon gegeben hat und wie groß diese Siedlung war, wie viele Menschen da vielleicht gelebt und gearbeitet haben?
Laura Dietrich: Also darüber gibt es sehr, sehr viele Interpretationen. Und, ja, im Prinzip handelt es sich insofern nicht um übliche domestische Gebäude, es sind durchaus Menschen da, die leben. Man kann das nicht nachrechnen, das ist unmöglich. In der Archäologie kann man eine Population vor allem dann nachrechnen, wenn ein Gräberfeld in der Nähe der Siedlung vorhanden kann. Dann kann man ja ungefähr wissen, wie viele und so weiter, dann kann man ja nach den Haushalten rechnen. In Göbekli Tepe sind das nicht übliche Haushalte und die Gebäude sind auch nicht gleichzeitig gebaut worden. Die sind nach und nach, das kann man ja nachvollziehen, in dem man die Stadt analysiert, aber man kann das nicht so genau datieren, absolut datieren. Also es ist schwierig, mit den jetzigen Methoden nachzuvollziehen, wie viele Gebäude gleichzeitig am Göbekli Tepe sozusagen bestanden haben und wie viele verlassen wurden, wie viele bewohnt wurden. Das kann man ja nicht im Einzelnen nachvollziehen. Aber was man sagen kann, dass man damit rechnet, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung da dauerhaft gelebt hat, weil es auch keine Wasserressourcen in der Nähe gibt. Die Lage des Göbekli Tepe ist nicht üblich für eine Siedlung. Normalerweise sind Siedlungen, also Dörfer, prähistorische Dörfer in der Nähe von Gewässern gelegen. Ist auch normal, man braucht ja Wasser in allen Bereichen des Lebens und Überlebens und Göbekli Tepe hat das nicht. Es hat einen kleinen Bach in der Nähe, das aber nicht genug decken kann. Man kann ja natürlich Wasser sammeln, aber man muss es zubereiten, wenn man nicht möchte, dass das Wasser giftig wird. Was sehr schnell in der Wärme des Orients passieren kann. Also wir rechnen momentan nicht damit, dass sehr viele Menschen dauerhaft dort gewohnt haben, sondern eher damit, dass ab und zu, und das haben wir nachgewiesen, sich Menschen dort versammelt haben und aus verschiedenen Entfernungen kamen, um Feste, Rituale dort durchzuführen und um weiterzubauen. Arbeit war für den Bau von Göbekli Tepe sehr wichtig. Wenn man das nachvollziehen möchte, wenn man die Arbeit in der Vorgeschichte nachvollziehen möchte, dann sollte man sich Göbekli Tepe als bestes Beispiel nehmen. Und eben, denke ich oder es ist, wir haben ja auch nachweisen können, dass Bier oder Alkohol ein bedeutender Teil der Arbeit war und wahrscheinlich auch ein Motor dieser Arbeit war oder auch rauschende Feste.
Markus Raupach: Ja, das auf jeden Fall. Und ich finde, das ist ganz interessant, ich meine, auch wenn es jetzt etwas später war, aber wir haben ja auch schon uns mit Matthew Adams aus Ägypten unterhalten und der hat ja auch erzählt, dass diese Städte, wo die große in Ägypten gelegen war, das war Mitten in der Wüste. Ganz weit weg vom Fluss, ganz weit weg von den Ressourcen auch für Holz zum Beispiel oder sonst irgendwas. Das heißt, die Menschen mussten wirklich alles dahin transportieren, das bedeutete unglaublich viel Logistik. Und auch überhaupt erst mal den Plan zu sagen, wir sagen das nicht an eine Stelle, wo es einfach ist, sondern wir gehen ganz bewusst irgendwohin, wo es sehr schwierig ist. Das ist ja auch eine Entscheidung, die irgendjemand bewusst gefällt haben muss. Also ich glaube, da gibt es noch ganz viel zu forschen, da bin ich auch sehr gespannt, was Sie da in der Zukunft noch herausfinden werden. Jetzt müssen wir aber ein bisschen natürlich auch auf unser Thema kommen hier als BierTalk. Würde ich aber vielleicht vorneweg nochmal sagen, es geht ja generell um das Thema Nahrung, also was haben denn diese Menschen damals überhaupt gegessen und getrunken natürlich? Ich habe bisher gehört, es gab irgendwie Antilopenknochen, die man gefunden hat und es gab eben Reste von Getreide. Können Sie da noch ein bisschen den aktuellen Stand uns erzählen?
Laura Dietrich: Also die Nahrung in Göbekli Tepe bestand aus Wildtieren. Gazellen waren bevorzugt, die migrieren, die sind dort anwesend im Frühling und im späten Herbst. Das wissen wir durch Isotopenanalysen genau, sonst nicht. Und Auerochsen in einem kleineren Anteil. Ein großer Teil der Nahrung bestand aus Wildgetreiden, die um Göbekli Tepe herum und allgemein im fruchtbaren Halbmond sehr reichlich vorhanden waren. Das wissen wir aus bioklimatischen Rekonstruktionen. Auch heute, wenn Sie Göbekli Tepe nicht in der Hauptsaison, sondern vielleicht im Frühfrühling oder Spätherbst besuchen, werden Sie überall grüne Getreide, grüne Wildgetreide dort sehen. Es ist ja auch wunderschön und der ganze Wüstenaspekt, das verschwindet, wenn man das schaut und man versteht ja auch viel mehr. Also Wildgetreide waren ein sehr wichtiger Teil der Nahrung. Das wissen wir weniger aus den erhaltenen botanischen Resten sondern viel mehr, weil die Konservierungskonditionen am Göbekli Tepe nicht gut sind. Und überhaupt, botanische Reste bleiben nur erhalten, wenn sie verbrannt werden. Wir wissen aber, weil Göbekli Tepe ein Inventar von 10.000 Reibsteinen hat. Das ist erstaunlich, das hat noch keine Fundstätte, keine neolithische Fundstätte bislang. Es ist die größte Sammlung der Reibsteine aller Zeiten, also aller neolithischen Zeiten. Normalerweise haben Siedlungen vielleicht 50 Reibsteine, mit Glück und die größten Siedlungen bis zu 200. Und Göbekli Tepe hat 10.000 davon. Und nicht nur 10.000 Reibsteine, sondern es hat auch ein paar 100 Steingefäße. Das heißt, vor den keramischen Behältern, die keramischen Behälter sind da noch nicht entdeckt worden, die kommen erst etwa 2500 bis 3000 Jahre später in der Region. Aber man benutzte in Göbekli Tepe sehr große, also sehr große bis zu kleinen Steingefäßen als Behälter für verschiedene Nahrungen oder verschiedenen Flüssigkeiten auch. Und wir haben Steintroge mit einem Umfang von bis zu 160 Liter. Auch ihre Herstellung ist erstaunlich, die sind fester Teil der Rechteckbauten. Und wir haben auch sehr viele sehr feine Steingefäße, die man in der Hand halten kann, die nicht größer als eine Schlüssel sind, von denen man beispielsweise sehr einfach trinken kann. Die sind auch sehr schön hergestellt, sehr kunstvoll. Sie sind poliert, wir sehen sehr viel Arbeit dort. Sie sind verziert auch, diese Gefäße, also sie sind eine besondere, ja, Tafelware.
Markus Raupach: Wie konnte man denn einen Stein dann so bearbeiten, dass er zum Beispiel zu einer Schale wird? Das erfordert ja auch Werkzeuge oder Instrumente oder so.
Laura Dietrich: Genau, das machen wir alles experimentell jetzt nach, die T-Pfeiler, die Steingefäße und so weiter. Es ist so, dass der Kalkstein am Göbekli Tepe sehr weich ist. Das ist eine Besonderheit der Region. Also das heißt, es kann sehr gut mit Steinwerkzeugen, mit härteren Steinwerkzeugen bearbeitet werden, wie zum Beispiel Silex oder anderen. Also wir haben beispielsweise sehr viele Steinbeilagen in Göbekli Tepe, die nicht nur zum Fällen von Bäumen benutzt wurden, sondern auch zum Steinschnitzen verwendet wurden. Das wissen wir jetzt genau, wir haben das experimentell nachgewissen. Und wir haben auch verschiedene Gerölle, Silexartefakte. Also man kann relativ leicht ein einfaches, ja, Steingefäß herstellen. Aber, das ist nicht nur das am Göbekli Tepe, sondern die Art, die Verzierung, die Kunst zeigt, dass dieses Geschirr besonders war, das einem besonderen Zweck diente. Das Trinkgeschirr, was ich erwähnt habe, das ist auch aus sehr vollkommenen Gesteinen gefertigt worden. Also das ist nicht aus lokalem Kalkstein, sondern aus Gesteinen gefertigt, die wahrscheinlich von 100 Kilometern hergebracht wurden. Die Sourcen haben wir nicht genau identifiziert, aber es wird dran gearbeitet. Und sind, wie gesagt, sehr kunstvoll verziert und man sieht, der Zweck war hier, einen Apparat herzustellen, die der Herstellung der Nahrung diente und der Getränke diente. Und das ist zum ersten Mal in der Geschichte so. Das ist eine Zeit der Revolution. Es ist eine Zeit, in der der Mensch zum ersten Mal anfängt, gezielt mit Nahrung zu experimentieren, das sieht man in archäologischen Befunden. Wenn Sie heute in einem Supermarkt gehen und Blicke so in die Regale werfen würden, dann würden Sie feststellen, das fast alles, was wir konsumieren, als Pulver oder als Flüssigkeit oder als Paste vorhanden ist. Also das heißt, Sie gehen selten in einen Supermarkt und kaufen sich ein Schwein oder eine Gazelle voll, sondern Sie kaufen sich verarbeitete, zu Pulver verarbeitete Sachen und das hat den Ursprung in dem akeramischen Neolithikum. Und wahrscheinlich auch in der Gewohnheit, Nahrung zu pulverisieren und sie miteinander zu vermischen, um neue Geschmackserlebnisse zu erzielen. Und da, hier kann der Alkohol, der frühere Alkohol wahrscheinlich auch verortet werden. Es geht um Geschmackserlebnisse auch, es geht um die Erfindung der Cuisine auch.
Markus Raupach: Also das finde ich unglaublich spannend, vor allem wirft es ja einen ganz neuen Blick auf diese Gesellschaften. Also weil, ich muss ja auch, um so Gefäße herzustellen und die zu verzieren, um mir dann Gedanken über Rezepte, über die Küche zu machen, da muss ich ja Zeit haben und nicht die ganze Zeit beschäftigt sein mit jagen und sammeln und Überleben und Fortpflanzen. Sondern da muss die Menschheit ja schon einen Schritt weiter gewesen sein in der Kultur. Und das bedeutet ja eigentlich, dass die Kultur an sich schon noch viel älter gewesen sein muss, um zu diesem Zeitpunkt schon soweit zu sein. Also da schauen wir doch sehr weit zurück in die Geschichte oder?
Laura Dietrich: Genau, genau. Also, natürlich, das hatte natürlich Vorsprung, also es ist nicht so, dass diese Innovation plötzlich auftritt. Es gibt ja durchaus vorherige Geschehnisse, das ist die Zeit vor dem akeramischen Neolithikum um 12500 vor Christus. Da wird auch experimentiert mit Reibsteinen, Mahlsteingefäßen. Wir haben, was ja zum Thema hier sehr gut passt, auch erste sehr frühe Nachweise, mögliche Nachweise, integrative Nachweise vom Bierbrauen in Israel, ja, sehr früh, also früher als Göbekli Tepe. Es ist ja eine Studie, die ist nicht ganz sicher, aber es ist wahrscheinlicher so, dass man in so einer Siedlung auch Bier hergestellt hat, ja. Wir haben natürlich diese früheren Nachweise, das ist ein Prozess, was wächst, was natürlich aber die Idee, Rezepte zu konstruieren, ja, die Idee, den Kochprozess inklusiven den Bierbrauprozess, ja, das gehört dazu und mehrere Schritte zu sequenzieren, um zu zusammengesetzten Mahlzeiten oder Flüssigkeiten oder Getränken zu gelangen. Das ist erst mal hier zu verorten, zeitlich im akeramischen Neolithikum. Und das ist im Kontext der Fundstätte mit Monumentalbauten zu verorten und im Kontext der Menschenversammlungen zu verorten, im Kontext der feste zu verorten.
Markus Raupach: Also total spannend, Sie haben mich schon völlig begeistert. Das merken wir auch daran, dass wir immer noch nicht über Bier reden. Aber eine Frage habe ich noch, bevor wir zum Bier kommen, Sie haben grade die Reibsteine erwähnt. Ich glaube, da können sich viele Hörer erst mal nichts drunter vorstellen. Also was ist ein Reibstein, wie schaut der aus und was hat man damit gemacht?
Laura Dietrich: Also einen Reibstein kennt man ja unter dem Begriff Mühlenstein. Und jeder, der mal in einem Museum war, weiß, was eine Handmühle ist, Handmühlen sind eine spätere Erfindung, ja. Mit Reibsteinen ist ein kompulsives Gerät gemeint. Er besteht auf aus einem Unterteil, das heißt Unterliege und ein Oberteil, das heißt Läufer, also es läuft, es läuft auf dem Unterlieger. Und damit kann man nicht nur Getreide zu Mehl verarbeiten oder zu Schrot verarbeiten, sondern alle Mengen Nahrungsmittel. Und das kennen wir aus ethnographischen Berichten und Beispielen so, dass Reibsteine quasi universelle, ich nenne sie, universal Crusher, universelle Zerkleinerer, sind, für alle möglichen Nahrungsmittel, für Nüsse, für Fleisch, für Fisch. Das ist alles nachgewiesen. Soßen, man kann direkt Soßen drauf machen, man kann Suppen machen, man kann Eintöpfe da drauf direkt mischen. Man macht alles mit diesem sehr, sehr nützlichen Geräten. Und später hat man auch Mineralien damit zerkleinert, um Metall herzustellen zum Beispiel. Also sind die ersten universellen Zerkleinerer der Menschheit, ja. Zuhause greifen wir heute auf Mixer, man kann ja sehr, sehr gut eine Suppe mixen, einen Handmixer benutzen. Das alles haben wir schon Tausende von Jahren vor uns mit den Reibsteinen gehabt.
Markus Raupach: Ja, ich wollte grad schon sagen, das ist so der Thermomix der Steinzeit, könnte man ein bisschen sagen. Ja und jetzt geht es natürlich drum, was wurde damit hergestellt? Und wir sind natürlich auch beim Thema Bier, aber man hat auch, denke ich mal, Urformen vielleicht von Brot oder Brei oder solche Sachen gemacht. Also wie hat die Nahrung so ausgesehen, die man zu dieser Zeit mit Hilfe der Reibsteine und der Getreide machen konnte?
Laura Dietrich: Also wir Archäolog*innen müssen das alles rekonstruieren. Das ist nicht so leicht, antike Rezepte oder, ja, alte Rezepte zu rekonstruieren oder überhaupt uns vorzustellen, was mit den Geräten gemacht wurde. Und es reicht nicht, das wir ethnographische, ja, Beispiele schauen oder traditionelle Gesellschaften schauen und sagen, das ist dafür benutzt worden, sondern es ist eine ganze Wissenschaft. Das ist Abnutzung von Rückständen. Wir versuchen, das alles wie ein Puzzle, mit kriminalistischen Methoden so zusammenzusetzen. Das heißt, wir schauen uns alle diese Geräte, wir schauen uns die Reibsteine an und wir schauen uns die Muster der Abnutzung an der Oberfläche makroskopisch, mikroskopisch, wir nehmen Proben von deren Oberfläche. Wir versuchen, das Rückstände zu identifizieren und das Gleiche machen wir auch mit den Steingefäßen. Und da versuchen wir, das alles in ein, ja, Konzept, uns zusammenzureimen und in ein sinnvolles Konzept zusammenzubringen, uns das vorzustellen, was dort passiert ist. Und es ist so, dass die Reibsteine aus Göbekli Tepe eindeutig Spuren, also mehrheitlich Spuren von der Herstellung von Schrot nachweisen aus Einkorn. Das haben wir auch experimentell nachgemacht mit den Spuren auf den Replikaten, mit den Spuren der Originalen verglichen. Also das heißt, man hat überwiegend nicht ein feines Mehl hergestellt, mit dem man normalerweise Brot machen kann, weil man damit die Stärke befreit und weil man damit einen Teig in Vermischung mit Wasser formen kann, das klebt, sondern in Göbekli Tepe hat man überwiegend Getreide, Einkorn in diesem Fall, grob zu Schrot verarbeitet. Wir denken, dass das für, ja, Breigerichte eher geeignet war und für Biere natürlich, eher als für Brotgerichte. Wir haben auch einen Anteil von etwa einem Viertel der Reibsteine, die auch zur Herstellung von Feinmehl beziehungsweise Brotprodukte verwendet wurde, aber das war nicht das Hauptgericht am Göbekli Tepe. So, man hat Schrot hergestellt, das wissen wir genau beim Analysieren der Reibsteine. Dann, was hat man mit diesem Schrot gemacht? Das wäre unsere nächste Frage gewesen. Wie kann man mit Steingefäßen Schrot verarbeiten, weiterverarbeiten? Wir haben Proben, wir haben uns die Abnutzungsspuren der Steingefäße angeschaut. Wir haben Rückstandsanalysen durchgeführt, in dem wir die Wandungen durchbohrt haben. Wenn man Glück hat, können sich dort Rückstände absetzen, wir hatten Glück in dem Fall, in Göbekli Tepe. Also wir haben große Steintröge analysiert und festgestellt, dass sie eindeutige Nachweise von erhitzten Getreide zeigen. Erhitzt, das ist ja da das Zauberwort hier, also die müssen erhitzt gewesen sein. Das schließt eine reine Funktion als, ja, Vorratsgefäße oder Vorratscontainer aus. Das heißt, die Getreide, die in diesen großen Steintrögen waren, die wurden erhitzt und wir haben Nachweise, dass sie mit einer großen Menge von Wasser vermischt wurden. Das ist ein zweiter Schritt. Wir haben auch mehrere verschiedene Nachweise, zum Beispiel, abgesehen von erhitzten Getreiden, in einigen von diesen großen Steintrögen kommen Fettsäuren von Pflanzen vor. Zum Beispiel von Vicia, das ist eine Hülsenfrucht oder auch von Kräutern, was ja auch interessant beim Bierbrauen wäre. Also von Artemisia, von Beifuß, vom Wermutkraut, wir haben aber auch Senf und wir haben Nachweise vom Baumharz da. Ja, das ist ein Puzzle erst mal für uns. Das ist so viel und so für mich, wie kann man prähistorische Rezepte kreieren und wir haben das dann experimentell. Also der dritte Schritt war, dass alles experimentell nachzumachen. Also aufgrund der Nachweise von erhitztem Getreide und Schrot war ja dann möglich, war dann sehr wahrscheinlich, dass man entweder Brei oder Bier hergestellt hat, wir wissen das. Wir haben auch sehr viele Nachweise von verbrannten Steinen um diese Steintröge herum im Original gefunden von Feuer. Wir haben das so interpretiert, dass das als Hitzesteine zur Erwärmung der Gefäßinhalte benutzt wurde, also zum Kochen im Kochprozess auch, ja. Und man kann das sehr leicht nachmachen, viel leichter, als man es sich vorstellt, in dem man Steine, so faustgroße Steine, insbesondere Basaltsteine, die sind gute Hitzeträger, in Feuer einlegt und ab und zu, wenn sie warm werden, die rausholt. Das kann man sehr leicht machen mit entweder mit Holzlöffeln oder auch mit längeren Knochen, die haben wir nämlich auch in den Gefäßen, Knochen-Spatula. Man kann sie rausholen und dann kann man sie in die, ja, Flüssigkeit rein tun, um das zu erhitzen. Wir haben also Getreide mit Wasser vermischt und diese Flüssigkeit mit Hilfe der Hitzesteine erhitzt, was man ja auch als Maischen sozusagen kennt. Also man kann Bier entweder aus vermälztem Getreide herstellen oder auch aus nichtvermälztem Getreide herstellen, das geht auch. Wir kennen traditionelle Biere, bei dem das Vermälzen nicht nötig ist, ja. Wir haben keine Hinweise auf vermälzte Getreide, die sind da nicht erhalten. Die Getreidekörner sind in den Funden sehr selten erhalten, das habe ich schon gesagt. Aber, wir haben Hinweise auf einen Kochprozess mit Hilfe der Hitzesteine, also auf einen Kochprozess, auf Erwärmung großer Menge Wasser mit Getreide.
Markus Raupach: Total spannend. Das erinnert mich natürlich an das mittelalterliche Steinbierbrauen, was wir kennen, wo man das ja teilweise aus anderen Motiven gemacht hat, zum Beispiel zum Brandschutz oder so. Das Spannende ist ja auch, dass man damit ja sogar die Temperatur in gewisser Weise steuern kann, weil man ja Erfahrungswerte hat, wenn ich jetzt meine Trog habe und ich habe so viel Flüssigkeit da drin, dann gebe ich einen Stein rein, dann passiert das, dann gebe ich noch einen rein, dann passiert das und wieder einen und so. Das heißt also, man kann zu dieser Zeit sogar schon die Temperatur in gewisser Weise regulieren. Das finde ich auch eine sehr spannende und interessante Geschichte, weil das ja vielleicht sogar ein bisschen besser geht als später, wenn man mit reinem Holzfeuer arbeitet, wo ich ja immer eine gewisse Spanne habe, wie heiß oder wie nicht heiß das eben wird und wann die Temperatur sich jeweils auswirkt. Also das finde ich auch einen total spannenden Aspekt. Jetzt haben Sie grade gesagt, man kann Bier herstellen aus vermälzten Getreide. Das ist klar, weil wir dann die Enzyme haben, die die Stärke umwandeln können in Zucker. Bei unvermälzten Getreide kenne ich das bisher aus der Forschung so, dass das dann zum Beispiel Reis war oder Maniok oder so, den die Menschen gekaut haben und wieder ausgespuckt haben und dann die Enzyme praktisch aus dem Speichel die Verzuckerung gemacht haben. War das dann da auch so oder gab es da noch andere Möglichkeiten?
Laura Dietrich: Ja, also, genau, was Sie auch gesagt haben, es geht auch so, nur halt nicht mit Malz sondern mit Einkorn. Aber das haben wir experimentell noch nicht ausprobiert, das haben wir vor. Die Experimente sind für Sommer 2024 geplant, ja. Ich rede gerne von den Ergebnissen, die ich persönlich experimentiert habe. Es gibt ja aber schon, genau, traditionelle Getränke, Biergetränke, die so hergestellt werden mit Hilfe der Amylase. Also man kaut die und damit kann man ja sozusagen auch Fermentation produzieren oder anstiften. Wir haben, wie gesagt, mit Malz experimentiert, zumal Malz auch, ich hatte vorhin die Entdeckung erwähnt, dort ist Malz vermutet worden, ja, die Existenz von Malz. Es ist nicht schwer, Getreide zu vermälzen oder es ist nicht ein so komplizierter Prozess, wie man es sich vorstellen würde. Man würde das solchen Jäger,- Sammlerpopulationen sehr gut zutrauen, die Göbekli Tepe errichtet haben, die die ganze, ja, Cuisine erfunden haben. Die erfunden haben, wie man pulverisierte Nahrungsmittel miteinander vermischt, um verschiedene Geschmackserlebnisse zu erzielen dann. Also es ist im Prinzip nicht schwierig, aber wir haben das nicht direkt nachgewiesen, bis jetzt, ja. Wir haben dennoch vermälzte Getreide benutzt und, ja, wie Sie auch gesagt haben, was ja auch richtig, stimmt, man kann das Maisen mit Hilfe der Hitzesteine sehr, sehr gut kontrollieren auch, was essentiell in der Produktion von Bier ist, in dem man entweder einen Stein rausnimmt oder einen Stein mehr rein macht. Man kann ab und zu die Temperatur des Wassers probieren, mit dem Finger probieren. Das bedarf einer gewissen Erfahrung, die aber nicht schwer zu erreichen war bestimmt. Und man kann auch, soweit ich weiß, hat man traditioneller Weise auch die Temperatur des Wassers durch Spiegelung kontrolliert. Also eine bestimmte Art und Weise, wie man sich das Gesicht da verspiegelt hat, das kann man ja auch machen. Aber im Prinzip ist das sehr leicht, die Temperatur für anderthalb Stunden, zwei Stunden zu kontrollieren, mit Hitzesteinen zu kontrollieren. Dann kann man ja alle Hitzesteine rausnehmen und auch mit dem Läutern beginnen, was wir auch gemacht haben. Wir haben zwei Experimente durchgeführt. Eines, in dem wir die Würze getrennt zuerst in ein Steingefäß eingefüllt haben und Hefe dazu gemacht haben, moderne Hefe dazu gemacht haben und eines, in dem wir die Würze in dem Steintrog, wir haben einen Steintrog, ein Replikat nachgemacht, der so ähnlich ist wie in Göbekli Tepe, aber ein bisschen kleiner. Aber es gibt ja auch durchaus diese großen da, 30 Liter Kapazität, die die Großen in Göbekli Tepe erreichen, in diesem Bereich von 30 Liter bis zu 160 Liter. Also das ist eher ein kleineres Exemplar, aber es kommt im Original davon vor. Und wir haben auch die Würze gelassen und das Gefäß mit einem Leinentuch und Erde bedeckt zur Fermentation einmal, ohne das wir Hefe zusätzlich dazu gemacht haben. Wir haben aber verschiedene Blätter, verschiedene Äste mit Blättern darein getupft, weil Hefe im Prinzip überall vorhanden ist, auf allen Obstbäumen. Es war ja auch nicht schwer dazuzukommen, dass das Bier so entstehen kann, für einen prähistorischen Menschen. Unser Produkt hatte 2% Alkohol, das haben wir nachgemessen auch. Es ist leicht rauchig im Geschmack, auch nicht schlecht.
Markus Raupach: Ja, das klingt doch auf jeden Fall sehr gut. Und für mich als Bamberger sowieso, weil wir ja das Rauchbier bei uns quasi als Hausbier haben. Und es ist ja auch zum Beispiel bekannt, dass durch diese Steine dann natürlich Zucker karamellisiert und ich da drüber natürlich auch nochmal Maillard-Reaktionsaromen habe und eben den Karamellzucker habe und auch eine gewisse Süße eben in dem Getränk. Und wenn Sie überhaupt beschreiben, also wie hat das geschmeckt, also wenn Sie sich daran erinnern, wenn Sie das versuchen, jemand nahezubringen, ist das ein angenehmes Getränk, ja, war das eher süß oder eher säuerlich oder beides, ja, können Sie dazu noch was sagen?
Laura Dietrich: Ja, also ich denke, ich bin als moderner Mensch auf jeden Fall voreingenommen. Geschmack entsteht in der Kindheit auch und unser Geschmack ist sozialisierend natürlich. Also ich kann jetzt nicht bestimmen, wie das prähistorisch geschmeckt hat. Mir hat das gut geschmeckt, es ist, wie gesagt, rauchig, aber mir schmecken rauchige Sachen eh. Und ich bin begeistert von dem Experiment gewesen und das es gelungen ist. Und ich bin begeistert von dem Thema und das beeinflusst natürlich meinen Geschmack auch, mein Geschmackserlebnis gewissermaßen, also ich bin da subjektiv. Wir werden auf jeden Fall nächstes Jahr, 2024, das Experiment nachmachen und Sie sind gerne eingeladen, wenn Sie das probieren wollen. Ich denke, Sie als Bierkenner werden das sehr gut beschreiben können.
Markus Raupach: Also da bin ich auf jeden Fall sehr, sehr gerne dabei, geben Sie mir einfach Bescheid, das wird gemacht, versprochen. Ich bringe auch ein bisschen Rauchbier aus Bamberg mit, dann haben wir noch eine andere Möglichkeit, etwas zu verkosten. Ja, Sie haben das ja alles selbst dann eben nachgebraut, gab es denn einen Unterschied zwischen dem Bier mit der Hefe, die Sie zugegeben haben und dem Bier mit der wilden Hefe?
Laura Dietrich: Ich denke, ich kann mich daran erinnern, dass die Wildhefe ein bisschen fruchtiger so geschmeckt hat. Aber, wie gesagt, das ist alles ein bisschen nach Empfindung auch. Aber sonst, so vom Alkoholgehalt her nicht und dominant ist auf jeden Fall der Rauchgeschmack.
Markus Raupach: Okay, gut. Also zwei Fragen habe ich noch, dann sind wir auch fertig, ich will Sie ja gar nicht zu lange hier aufhalten. Also eine Frage noch, wir haben ja schon drüber gesprochen, das Bier war ja eher dann auch ein kultisches Getränk, ein bewusst hergestelltes Getränk für Fete, für Feierlichkeiten. Gibt es trotzdem einen Zeitpunkt, wo Bier dann zum Alltagsgetränk wird, also wie wir es zum Beispiel in Ägypten kennen, dass das ein normaler Bestandteil der Nahrung war? Gibt es da irgendwie Funde, ab wann man das sagen kann?
Laura Dietrich: Das ist eine sehr gute Frage und es ist auch eine Frage, die ich mir jetzt selbst in meiner Forschung stelle auch. Also die Entwicklung ist eher kompliziert, wie auch die Menschheit ist, die entwickelt sich sehr kompliziert, die Beschreibung vom frühen Bier zum Brot. Denn es ist so, dass nachdem diese Revolution der Cuisine, der Küche, des Geschmacks, der Ernährung in akeramischen Neolithiken stattfindet, im Bezug, im konkreten Bezug auf diese Monumentalstädte, auf Versammlungen, Feste, Feiern, Kult, die Entwicklung eher 3000 Jahre später in Richtung der Brotherstellung läuft. Überraschender Weise setzt sich das Brot als Produkt 3000 Jahre später. Und das Brot als Produkt wird auch im Zuge der Neolithisierung, der neolithischen Migration, mit nach Europa transportiert. Und die Geräte, die, ja, Reibsteingeräte, die wir ganz konkret in Bezug auf Brotproduktion sozusagen einordnen können, die tauchen als Erstes auch dort also im Bereich der heutigen Südost-Türkei, Nord-Syrien auf, relevante auch, die tauchen da das erste Mal um 7000. Die werden dominant im Befund und werden langsam auf die anatolische Küste nach West-Anatolien, dann in den Balkan, dann in Zentraleuropa, mitgebracht. Also wir wissen, was von den neolithischen Migranten wird, ist Brot, das haben wir im archäologischen Bild, so. Der Nachweis von Bier, gibt es auch, ja, auch im eher 6. Jahrtausend vor Christus in Europa. Wir wissen aber nicht, zu welchem Maß, die Forschung ist sozusagen am Anfang, ja. Also die Entwicklung ist sehr sprunghaft so von dem frühesten Bier in Südost-Asien zu dem frühen Bier in Europa. Was nicht heißt, dass es nicht existiert hat, das heißt nur, wir wissen ja noch nicht so genau, zu welchem Maß das produziert wurde und ob diese beiden Phänomene direkt verbunden sind, ja, das entwickelt sich ja auch später im Neolithikum Mittel-Europas.
Markus Raupach: Ja, weil man ja auch dann später aus Brot oder zum Teil aus Brot auch Bier hergestellt hat. Und ich kann mir vorstellen, der Vorteil von Brot ist natürlich, man kann es wesentlich leichter aufheben und wesentlich leichter transportieren als ein fertiges Bier. Das ist auch ein Punkt, der dazu beigetragen hat, jetzt mal aus meiner Laiensicht heraus. Letzte Frage, was mich noch interessieren würde, es wird ja immer wieder auch kritisch angemerkt, dass man zwar immer wieder spricht vom Bierbrauen in Göbekli Tepe zum Beispiel, aber das es keinen 100-prozentigen Beweis gibt. Jetzt habe ich ja viele Artikel von Ihnen auch gelesen, da fällt unter anderem das Stichwort Oxalat. Jetzt wollte ich einfach mal fragen, was kann man denn diesen Leuten sagen, also gibt es sichere Nachweise, dass es Bier gegeben hat oder ist es aktuell eher noch eine Annahme?
Laura Dietrich: Also in der Wissenschaft und vor allem der archäologischen Wissenschaft gibt es sehr selten eindeutige Beweise. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass man in Göbekli Tepe Getreide zu Breien und oder zu Bieren erhitzt und zubereitet hat, das ist sehr wahrscheinlich, ja. Also es ist sehr wahrscheinlich, dass die ganzen Reibsteine nicht zur Produktion von Brot benutzt wurden, es ist sehr wahrscheinlich, dass die Steintröge nicht als Vorratskessel für Getreide benutzt wurden. Es ist sehr wahrscheinlich, es ist sicher, dass dort Getreide erhitzt wurde und zu verschiedenen Mahlzeiten nicht nur aus Getreide, wie ich ja vorhin erwähnte auch, aus Kräutern, die man durchaus auch in einem Brauprozess benutzte, Beifuß, Wermutkraut, aber auch Senf, aber auch andere pflanzliche Zutaten, ja, zugegeben hat. Es ist nicht sicher, dass das ganze fermentiert hat. Das können wir bis jetzt nicht nachweisen, das ist ja unmöglich. Es gibt ja bis jetzt kein archäologisches Verfahren, durch das man Fermentation nachweist, das ist der einzige Unterschied. Deswegen sagen wir hier vorsichtig, man hat Brei oder Bier zubereitet. Die ähnlichen Schritte, ja, bei dem ähnliche Schritte durchlaufen werden müssen, also ähnliche Schritte, ähnliche Kochschritte sozusagen beinhalten, ja. Es ist nicht 100-prozentig sicher, dass man dort Bier hatte, aber die Nachweise vermehren sich auch. Wir haben ein Beispiel, das ist ja noch früher und wir haben sehr viel kontextuelle Evidenz. Das muss man ja auch in Betracht nehmen als Archäologe, Archäologin, ja.
Markus Raupach: Ja, na, das auf jeden Fall. Also ich denke auch, da gibt es ja eben dann auch die Überlieferungen aus den ersten Schriftquellen und so weiter, aus den Geschichten, aus den Sagen, die ja auch schon lange Tradition haben, wo natürlich immer Bier oder Alkohol oder eben beides eine Rolle gespielt haben. Ja, vielen Dank, also das war ein ganz, ganz spannender Einblick in Ihre Arbeit. Vielleicht abschließend noch, wenn jemand jetzt zum Beispiel Sie einmal besuchen möchte oder Göbekli Tepe besuchen möchte, geht das einfach, kann man bei Ihnen in Wien vorbeischauen oder wie läuft das? Und wie kann man die Stellen in der Türkei beziehungsweise in Syrien anschauen, geht das?
Laura Dietrich: Ja, also zu Besuch in Göbekli Tepe würde ich auf jeden Fall raten, das ist ja sehr leicht geworden oder es ist jetzt sehr touristisch orientiert alles. Man kann ja via Istanbul nach Sanliurfa fliegen und dort gibt es sehr viel Organisation, heimische Organisation zum Besuch der Fundstätte und es werden Touren angeboten, nicht nur zu Göbekli Tepe, sondern auch zu den anderen T-Pfeiler-Städten wie Karahan Tepe und so weiter. Und 2007, als ich dort angefangen habe zu arbeiten, war das alles nicht, es ist ein riesen Fortschritt. Und ich würde auf jeden Fall die Gelegenheit nutzen, erst vielleicht nächstes Jahr, nachdem die Folgen des Erdbebens vorbei sind hoffentlich, würde ich die Städte in jeden Fall besuchen. Bei mir, man kann meine Arbeit, meine experimentelle Arbeit in jedem Fall im Museum Asparn, neben Wien, nachschauen. Dort habe ich eine Experimentalreihe mit meinen Studierenden, ich bin angefangen und wir werden die auch fortführen. Es gibt einen Tag der offenen Tür immer Ende Juni, Anfang Juli, da ist Publikum sehr gern eingeladen. Und nächstes Jahr wollen wir ein drittes Experiment zum Bierbrauen zu Göbekli Tepe machen und wir wollen zudem ganz große T-Pfeiler-Schnitten mit Hilfe von Steinballen. Das wird ja vielleicht für einige sehr spannend sein und man kann ja Bier kosten, wenn man möchte.
Markus Raupach: Ja, wunderbar, also vielen, vielen Dank, das wird spannend, das klingt toll also! Und ich werde es schon mal fest in meinem Kalender einplanen, freue mich dann schon, dieses Bier auch zu probieren. Und Sie haben auf jeden Fall ganz viel, ja, Lust gemacht und ganz viel Interesse geweckt und auch ein bisschen was, ich glaube, von Ihrer Begeisterung und von Ihrem, ja, von der Bedeutung, die die Kultur einfach damals schon hatte, wie weit Menschen damals schon entwickelt waren. Wir haben da immer so die Flintstones im Kopf, aber das ist einfach ganz anders. Und ich finde das ganz faszinierend und hat mir auch ein bisschen Gänsehaut bereit eben, wenn wir so die alten Kulturen wieder aufleben lassen und sehen, wie weit die schon waren und an was die alles schon gedacht haben. Also vielen, vielen Dank nochmal von meiner Seite für Ihre Arbeit und für die Zeit natürlich jetzt hier und gerne auch für ein weiteres Mal, wenn wir dann die nächsten Forschungen begleiten und vielleicht noch ein bisschen tiefer einsteigen.
Laura Dietrich: Vielen, vielen Dank für die Einladung, es hat mir sehr viel Spaß gemacht und sehr viel Freude gemacht, meine Überlegungen hier auch und meine Forschung vorstellen zu dürfen. Und ich wollte nur mal anschließend sagen, man soll den Erbauern von Göbekli Tepe die Herstellung von Bier ruhig zutrauen, diese Raffinesse zutrauen auch und nicht aus der reinen Perspektive des modernen Menschen auf die Vergangenheit schauen. Denn Göbekli Tepe und auch die anderen T-Pfeiler-Städte, die haben unser Paradigma zwar archäologisch völlig verändert zur Vergangenheit.
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