BierTalk Spezial 15 – Interview mit Prof. Dr. Dorothea Schmidt aus Wien, Autorin von Das Bier in der NS-Zeit

Dorothea Schmidt war lange Zeit als Professorin an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht tätig und erhielt dort den Auftrag, die Geschichte eines der Gebäude der Hochschule zu recherchieren. Dort hatte sich während der Zeit des Nationalsozialismus die „Hauptvereinigung der deutschen Brauwirtschaft“ befunden, eine der beiden von der Regierung als Ersatz für den aufgelösten Deutschen Brauer-Bund eingesetzten Institutionen. In Ihrer Forschung fand die Professorin viele teils überraschende Fakten rund um das Bier und die Brauwirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus heraus und veröffentlichte mit den Ergebnissen schließlich 2019 ein Buch mit dem Titel „Die Kraft der deutschen Erde“. Im BierTalk – ausnahmsweise ohne Bier – sprechen wir über ihre Ergebnisse und die Rolle der Brauereien und ihrer NS-Vertretungen während dieser 12 Jahre der deutschen Geschichte…

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Markus Raupach: Hallo und herzlich willkommen zu einem neuen BierTalk Spezial. Heute gibt es ein wirkliches Spezial, das heißt, wir werden zum ersten Mal im BierTalk kein Bier trinken. Das geht aber auch nicht, weil wir beschäftigen uns mit der Geschichte des Bieres in den 12 Jahren des Nationalsozialismus. Und dafür haben wir Frau Prof. Dr. Dorothea Schmidt kontaktiert, die zur Zeit in Wien lebt und unter anderem auch ein Buch geschrieben hat mit dem Titel „Die Kraft der deutschen Erde: Das Bier im Nationalsozialismus und die Hauptvereinigung der deutschen Brauwirtschaft“. In ihrem Buch stellt sie sehr viele neue Forschungsergebnisse vor und es wird auch sehr deutlich, wie anders das Thema Bier und Bierwirtschaft in diesen 12 Jahren gelebt wurde als davor und vor allem auch danach. Wir begrüßen jetzt Frau Prof. Dr. Dorothea Schmidt am Mikrofon und freuen uns, wenn Sie sich kurz selbst vorstellen.

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ich bin Dorothea Schmidt, ich war ab 1996 Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und bin auf das Thema Bier dadurch gekommen, dass der Sitz des Präsidiums der Hochschule seit einigen Jahren in einem Gebäude ist, in dem ab 1940 die Hauptvereinigung der deutschen Brauwirtschaft zu Hause war. Und der jetzige Präsident hat mich beauftragt, die Geschichte dieses Gebäudes zu erforschen, und so kam ich zum Bier.

Markus Raupach: Das heißt, selbst trinken Sie eher kein Bier?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Gelegentlich. Ich wohne in Wien und da ist es doch häufiger, dass man Wein trinkt. Aber es gibt auch gutes österreichisches Bier.

Markus Raupach: Wir beschäftigen uns vor allem mit einer sehr schwierigen Zeit auch und ich glaube, wo viele Leute wenig darüber wissen. Wie war das denn überhaupt für Sie, als Sie sich diesem Thema genähert haben? Haben Sie das vorher so erwartet, dass Sie viele Dinge herausfinden, die dann auch schwer zu verstehen sind?

 

Die Sonderrolle des Bieres

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Mich hatte eigentlich vieles überrascht. Ich wusste bis dahin, das ist der allgemeine Stand der Kenntnisse, dass im Nationalsozialismus Konsum sehr niedrig gehalten wurde, dass man versucht hat, alles Geld in die Aufrüstung umzulenken, und die Überraschung war, zu merken, beim Bier war das nicht so.

Markus Raupach: Und das, obwohl die Nationalsozialisten ja auch so eine Ideologie der Alkoholabstinenz und Adolf Hitler hat sich ja selber auch als Abstinenzler dargestellt, hat sich das dann anders gezeigt?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ja. Das Verhältnis der Nationalsozialisten zum Bier und generell zum Alkohol war extrem widersprüchlich. Auf der einen Seite gab es diese Linie, die Sie genannt haben, dass gesagt wurde, im Sinn der Volksgesundheit sollen die Menschen keinen Alkohol trinken. Etwa Hitler hat 1935 beim Parteitag, der eine Rede gehalten hat an die HJ und der dort sagte, wie er sich die deutsche Jugend vorstellt, nämlich die sollten hart wie Kruppstahl sein, flink wie die Windhunde und sollten genau das Gegenbild sein zum deutschen Bierspießer, wie er sagte. Auch sonst gab es häufig solche Äußerungen. Auf der anderen Seite, wenn man sich überlegt, der Beginn der Nationalsozialisten oder der Aufstieg der Bewegung fand in Bierkellern statt, in Münchner Bierkellern, und auch später bei SA und SS gehörte das Biertrinken zu deren Männlichkeitskultur. Sie haben Kontakte zu Lokalen gehabt, die sich dann SA- oder SS-Bierlokal nannten oder -Gastwirtschaft. Es wurde bei vielen Großveranstaltungen sehr viel getrunken, zum Beispiel zumindest am Ende der Reichsparteitage oder bei anderen großen Gelegenheiten, bei großen Festivitäten. Das heißt, das Biertrinken war eigentlich gang und gäbe und entsprach überhaupt nicht diesen Appellen der Partei, sich zu mäßigen.

 

Adolf Hitler als Abstinenzler?

Markus Raupach: Weiß man denn von Adolf Hitler selber, ob er doch Bier getrunken hat?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Er hat sich immer selber als Antialkoholiker dargestellt, und es gibt meines Wissens neuere Forschungen, dass es so eindeutig nicht war.

Markus Raupach: Ich habe zumindest eben gehört, dass wenn man so seine, also er hat, während er in Festungshaft saß, hat er ja Dinge verbraucht und da war eben auch von regelmäßigen Bierlieferungen die Rede. Also irgendwo muss es hingekommen sein, er war ja in Haft, also insofern. Aber gut, wenn wir jetzt dann so die Zeit haben, die Richtung 33 hinführt und dann so dieses entscheidende Jahr der Machtübernahme, sind da denn dann von Seiten des Staates schon Sachen passiert im Hinblick auf Thema Bier und Bierwirtschaft?

 

Die Auflösung des Deutschen Brauer-Bundes

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Naja, so schnell nicht. Es gab ja den Deutschen Brauerbund, der blieb erstmal bestehen, sowie andere Branchenverbände, und der wurde insofern nicht gleich umgestaltet. Der stand damals unter dem Vorsitz von August Pschorr aus München, aber 1934 wurden sämtliche Wirtschaftsverbände aufgelöst und somit auch dieser. Und man setzte die ganze Verbandstruktur neu auf, indem man Reichsgruppen und Wirtschaftsgruppen gegründet hat. Und zu diesen Wirtschaftsgruppen gehörte auch die Wirtschaftsgruppe Brauerei.

Markus Raupach: Und das heißt, die ursprüngliche Funktion des Brauerbundes war dann brachgelegen oder hat die dann auch eine andere Organisation übernommen?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Die Wirtschaftsgruppe Brauerei war insofern eine Nachfolgeorganisation des Deutschen Brauerbundes, als dort die Interessen der Brauer vertreten waren. Das haben die immer gemacht und das Interesse der Brauer als Unternehmer war, es sollten die Umsätze möglichst hochbleiben, also man wollte die Menge des Bieres nicht reduzieren und es sollte die Qualität erhalten bleiben. Allerdings ist ab 1933 eine andere Organisation parallel zu der Wirtschaftsgruppe entwickelt worden und das war die Hauptvereinigung der deutschen Brauwirtschaft. Die war wiederum ein Teil des Reichsnährstandes. Und der Reichsnährstand war eine ganz neue Organisation. Die Nationalsozialisten hatten ja anfangs oder kurze Zeit, muss man sagen, eine Ständestaat-Idee. Der Staat sollte völlig neu aufgebaut werden nach Ständen im mittelalterlichen Sinn, Stände, also Gruppen, in denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder Meister und Gesellen gemeinsam ihre Interessen vertreten würden. Diese Ständestaats-Idee ist ziemlich schnell gestorben und hat sich eigentlich nur beim Reichsnährstand verwirklicht. Und da war die Idee eine sehr romantische Idee, die Landwirtschaft sollte im Mittelpunkt stehen und von der Landwirtschaft her, also vom Bauerntum her, das ja sehr hochgehalten wurde ideologisch, von daher sollte der ganze Bereich neuaufgebaut werden. Das heißt, die Bauernschaft hätte das Sagen über die Produktion der Rohstoffe, aber auch über alle folgenden Etappen der Wertschöpfungskette, das heißt, über die Brauereien, über den Bierhandel, die Gaststätten. Dieses Verhältnis hat sich in Wirklichkeit nicht so durchgesetzt. Die Bauern hatten keineswegs da das Sagen, also in diesem Fall die Hopfenbauern und die Getreidebauern, sondern es waren innerhalb dieser Verwertungskette letztlich dann doch die Brauereien, die die stärkste Stellung hatten.

Markus Raupach: Wie haben denn die Brauereien und Brauereibesitzer darauf reagiert? Es gab ja zum Teil auch jüdische Brauereibesitzer und es gab sicherlich auch welche, die diese Umstrukturierung generell nicht wollten. Gab’s da Diskussionen?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Da müsste man noch näher in die Geschichte der Wirtschaftsgruppe einsteigen. Bei den Brauereibesitzern waren Unternehmer aus jüdischen Familien, von jüdischer Herkunft nicht so häufig. Es gab einen sehr bekannten, das war Hermann Schülein, der in München Vorsitz der Löwenbräu AG hatte, der Vorsitzende dort war. Er war ein sehr anerkannter Braufachmann und wurde sehr bald nach 1933 diffamiert und angegriffen von den Nationalsozialisten und ist dann 1935 auch zurückgetreten von seinem Vorstandsposten und in die USA immigriert und war dort wiederum als Braufachmann sehr erfolgreich. Aber sonst ist mir nicht bekannt, dass Brauereien, die in Besitz von Menschen jüdischer Herkunft waren, dass die sich da irgendwie dazu geäußert hätten.

Markus Raupach: Dann kommen wir doch kurz zu der Hauptvereinigung. Da gab’s den Unterschied, dass die Wirtschaftsgruppe dem Wirtschaftsministerium unterstellt war und die Hauptvereinigung dem Landwirtschaftsministerium, was an sich schon ein bisschen schwierig war wahrscheinlich.

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ja.

Markus Raupach: Und wie hat man dann versucht, diese Ideologie dann durchzusetzen? Also was hat die Hauptvereinigung dann versucht, den Brauern vorzuschreiben und vielleicht auch den Bauern?

 

Marktregulierung und Brauer-Selbstverständnis

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Die Hauptvereinigung hatte im Rahmen des Reichsnährstandes die Aufgabe, den Markt zu regeln. Das heißt, sie sollten Mengen und Preise regeln, also kein freier Markt mehr, wie er vorher bestand, sondern die Mengen sollten so geregelt werden, dass der Verbrauch an Hopfen und auch an Braugerste mit anderen Bereichen der Nahrungsmittelproduktion irgendwie in Übereinstimmung zu bringen war. Das heißt, sie sollten im Grunde bremsen und die sollten auch die Preise kontrollieren. Sie haben das ansatzweise versucht, aber es gab die beiden Ministerien, die da im Spiel waren. Und spätestens mit dem Vierjahresplan von 1936 hatte das Landwirtschaftsministerium eigentlich nur noch sehr wenig zu sagen und das Wirtschaftsministerium hatte die Oberhand, und die haben dann die Preise gemacht. Und interessanterweise sind die Preise beim Bier in dieser Zeit bis 1938 nicht gestiegen, sondern sind gesenkt worden. Das heißt, man hat den Bierverbrauch angekurbelt und keineswegs verhindern wollen.

Markus Raupach: Und für diese Preisfestsetzung war dann nicht mehr der Brauereibesitzer zuständig? Das heißt, der musste quasi nachfragen, wie viel kann ich für mein Bier verlangen?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ja. Die Preisfestsetzung erfolgte von oben. Wobei zum Beispiel Bayern hat immer eine Sonderrolle gespielt. Bayern hat immer besonders energisch die Interessen der Brauer und auch der Biertrinker und -Trinkerinnen verfolgt und diese waren natürlich nicht hohe Preise, sondern günstige Preise. Die haben da sehr oft ihren eigenen Weg gefunden und interessanterweise ist ihnen das auch gelungen, etwa auch bei der Braugerste. Aus Bayern kamen Äußerungen, ein Bier mit einer Stammwürze von weniger als 9 %, das nennen wir bei uns nicht Bier. Das kann man nicht Bier nennen, von daher sei das völlig unzumutbar. Das war gegen die Bestrebungen der Hauptvereinigung, die immer wieder versucht hat, ein Leichtbier durchzusetzen, was letztlich nie wirklich umfassend gelungen ist.

Markus Raupach: Die Stammwürze natürlich ein spannendes Thema, wo wir auch nochmal drauf eingehen sollten. Vorher würde mich noch interessieren, in diese Zeit fällt eigentlich auch ein Jubiläum, das normalerweise groß gefeiert wird, 125 Jahre Oktoberfest, 1935. Haben Sie dazu was gefunden? Gab es da schon Einflüsse des Staates auf die Art dieses Festes und auf das Bier und die Preise?

 

Das Oktoberfest 1935

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Es gab Einflüsse insofern, also erst mal, dass das Fest stattfinden sollte, und zum anderen, dass man vor allem die Beflaggung verändert hat. Vorher waren dominant die blauweißen bayerischen Flaggen, und das wurde dann alles ersetzt durch Nazi-Flaggen. Es gab die Umzüge wie auch sonst, aber auch dann mit entsprechendem Nazi-Dekor. Und es sind aufmarschiert auch alle NS-Formationen, die man so kennt, von der Hitlerjugend über den BDM bis zu SS-Formationen und anderen. Getrunken wurde meines Wissens genau so viel wie sonst und die Preise wurden festgesetzt, waren aber relativ günstig. Also man wollte auf keinen Fall denen Schwierigkeiten machen oder das boykottieren, im Gegenteil.

Markus Raupach: Das hat ja auch in den Folgejahren dann stattgefunden bis 1939 und ab dann ging es eben kriegsbedingt nicht mehr. War denn überhaupt eine Verzahnung zu sehen? Sie haben grad schon den Vierjahresplan genannt, also wo man dann wirklich gesagt hat, wir müssen innerhalb von vier Jahren praktisch kriegsfähig sein, sowohl die Bevölkerung als auch die Wirtschaft. Hatte das Auswirkungen auf die Brauwirtschaft, und wenn ja, in welcher Art und Weise?

 

Aufschwung durch Kriegspläne

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Die Auswirkungen für die Brauwirtschaft waren ausgesprochen günstig, denn in der Zeit ab 1936 nahm sowohl die Aufrüstung zu als auch der Ausschuss der Brauereien. Das heißt, sie sind im Gleichschritt vorangegangen. Und da spielt das Bier eben wieder eine Sonderrolle. In vielen anderen Bereichen der Nahrungsmittel hat es ganz starke Qualitätsverschlechterungen gegeben, beim Brot, beim Fleisch, bei anderen Sachen, auch bei Textilien wurde immer weniger Baumwolle verwendet, weil die ja importiert werden musste, und man hat versucht, sich mit Holzersatzstoffen zu behelfen. Man sagte damals über die Anzüge, aus deutschem Wald, die sollen sehr kratzig gewesen sein. Also in vielen Bereichen Einschränkungen des Konsums, aber nicht beim Bier. Der Bierverbrauch nahm weiter zu und wurde eben durch die niedrigen Preise gefördert, übrigens auch der Verbrauch von anderen Alkoholika, auch von Wein und Schnaps. Die Erklärung ist, man wollte die Menschen bei Laune halten, und beim Bier betraf das vor allem die Arbeiter in Rüstungsbetrieben, das waren damals ganz überwiegend Männer, die ja oft Überstunden machen sollten, um die hohen Anforderungen zu erfüllen. Und die bekamen dann auch immer extra Rationen Bier, also gerade da hat dieser Zusammenhang gut funktioniert, denn das ging Hand in Hand.

Markus Raupach: Ich habe sogar gelesen, dass es Streiks gab, dass die Arbeiter wirklich gesagt haben, wir machen keine Überstunden mehr oder wir arbeiten gar nicht, wenn wir nicht unsere Bierrationen bekommen. Das ist schon krass eigentlich.

 

Streiks um Bier

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ja. Das haben die angedroht. Man weiß diese Dinge, weil Streiks waren natürlich offiziell überhaupt nicht möglich und verboten. Aber das Regime hat ja immer versucht rauszukriegen, wie ist die Stimmung in der Bevölkerung. Da sie die freie Presse inzwischen aufgegeben hatten und die es nicht mehr gab, war die einzige Möglichkeit, darüber etwas zu erfahren, Informanten loszuschicken, die monatlich ihre Berichte abgeliefert haben. Das nannte sich „Meldungen aus dem Reich“. Und die haben dann aus einzelnen Orten berichtet, eben zum Beispiel dort, wo es Rüstungsbetriebe gab, es herrscht Unmut bei der Arbeiterschaft und man droht mit Streik und es müssen jetzt also unbedingt die Bierrationen, was die zur Verfügung hatten, das müsste erhöht werden.

Markus Raupach: Gab‘s denn dann noch eine Konkurrenz innerhalb der Brauereien, was normalerweise in Wirtschaftsbetrieben üblich ist? Oder wurden die da auch so ein bisschen, sagen wir mal, gleichgeschalten?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Die Konkurrenz war sehr lebhaft, allerdings die Großen hatten sehr viel bessere Chancen als die Kleinen. Solange der Bierverbrauch insgesamt stieg, war das kein Problem, aber ab 1939, wo es dann doch gewisse Einschränkungen gab oder auch die Menschen weniger Geld zur Verfügung hatten und ein großer Teil der Lieferungen, nämlich ungefähr ein Viertel, an die Front ging, ab da war es dann sehr viel schwieriger, und es kam dann auch zu Betriebsstillegungen, die angeordnet wurden. Die betrafen kleine Unternehmen, von den Großen zum Beispiel Schultheiss in Berlin, die galten als Wehrwirtschaftsbetrieb. Das heißt, sie wurden als nötig angesehen, um den Krieg weiterführen zu können.

Markus Raupach: Sie haben es gerade schon gesagt, es ging dann nach und nach auch ein großer Teil der Produktion an die Wehrmacht. Wie ist das wirtschaftlich zu sehen, war dann die Armee ein Abnehmer von Bier, haben die handelt dafür bezahlt, war das dann auch für die Brauereien ein Wirtschaftsfaktor?

 

Die Wehrmacht als Kunde

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ich weiß das nur von Schultheiss, für Schultheiss war das sicher ein Wirtschaftsfaktor. Ja, die Brauereien wurden genau wie all die anderen Lieferbetriebe bezahlt und hatten da einen sicheren Absatz, das war also für die sicher ein gutes Geschäft. Für die Wehrmacht selber war es eine zwiespältige Sache, die Soldaten so gut mit Bier zu versorgen. Denn auf der einen Seite sah man auch hier wieder, so wie bei den Rüstungsarbeitern, die Stimmung sollte gutbleiben, auf der anderen Seite ein Übermaß an Bierkonsum, barg natürlich die Gefahr, dass die militärischen Fähigkeiten des Soldaten auch leiden konnten.

Markus Raupach: Es wurden mehr und mehr Männer aus den Betrieben abgezogen und damit auch aus den Brauereien. Wie sind die denn damit umgegangen? Hat man dann rationalisiert oder hat man mehr Frauen eingestellt, oder kamen dann auch Zwangsarbeiter in die Betriebe?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Man hat Frauen eingestellt und auch Zwangsarbeiter verwendet, aber interessanterweise in sehr viel geringerem Ausmaß als in anderen Industriezweigen. Das heißt, man hat weniger als in anderen Bereichen die Männer eingezogen, sie waren offenbar weniger leicht entbehrlich. Bei den Brauern waren immer die Betriebskenntnisse, die unmittelbaren Erfahrungen, waren so entscheidend, und das war ein Wissen, das nicht ohne weiteres transferierbar war.

Markus Raupach: Kommen wir nochmal zurück zu dem Thema Stammwürze. Also daran misst man eigentlich die Qualität des Bieres, was jetzt den Einsatz an Malz und letzten Endes das Ergebnis dann an Nährstoffen und Alkohol angeht. Es war auch im Ersten Weltkrieg so, dass die Stammwürze immer weiter reduziert wurde, um halt einfach eine Versorgung zu gewährleisten. Wie ist das denn in der Zeit des Dritten Reiches gelaufen? Also teilweise vielleicht schon vor dem Krieg, aber spätestens dann währenddessen?

 

Der Kampf um die Stammwürze

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Die ganze Zeit von 1933 bis 38 bliebt der Verbrauch an Stammwürze im Großen und Ganzen gleich. Das kann man hier jetzt auch wieder sehen im Vergleich zu den Qualitätsverschlechterungen bei anderen Lebensmitteln. Das heißt, da traute man sich nicht dran. Die Einsprüche der Brauereien, die es immer wieder gab oder der Wirtschaftsgruppe Brauerei, waren offenbar erfolgreich, denn die Hauptvereinigung wollte das natürlich ständig, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Und die Stammwürze blieb sogar bis 1941 noch relativ hoch, also sie sank dann schon leicht ab, es gab mehr Trend zu so etwas wie Leichtbier und weniger Starkbiere, aber richtig stark abgesunken ist der Verbrauch eigentlich erst ab 1943/44, also relativ spät.

Markus Raupach: Und welchen Stellenwert hatte die Versorgung der Brauereien mit ihren notwendigen Gütern auch in den Kriegsjahren? Also hat man da auch Ressourcen darauf verwendet, dass auf jeden Fall die Bierproduktion weiterging oder gab’s da dann auch mehr und mehr Schließungen oder auch zum Beispiel zerbombte Brauereien, haben die dann Unterstützungen bekommen?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Das war im Krieg sowieso schwierig. Über Schultheiss habe ich mehrere Sachen gefunden. Die haben nur gemeldet eben, dass bestimmte Betriebsteile nicht mehr verwendbar waren, ausgebombt waren. Aber es war doch, bei denen jedenfalls, die Produktion so dezentral, dass sie immer das noch verlagern konnten und woanders weiterproduzieren.

Markus Raupach: Ein interessantes Beispiel ist ja die Schultheiss Brauerei in Berlin, wo dann noch eine große Jubiläumsfeier stattgefunden hat. Da haben Sie, glaube ich, auch einige interessante Fakten herausgefunden, oder?

 

Ein Brauerei-Jubiläum mitten im Krieg

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Das Jubiläum war geplant für Oktober 1943 und wurde daher bereits ein halbes Jahr vorher geplant. Und man plante ganz große Umzüge und eine große Opernvorstellung in der Deutschen Oper und einen Empfang mit allen möglichen Honoratioren aus der Baubranche und aus der Wehrmacht und Parteigrößen. Ein Teil dieser Veranstaltungen musste abgesagt werden, also etwa die Bierkutscher-Gespanne, die man geplant hatte. Aber die Feier im Opernhaus fand statt und da waren immerhin 2.000 Plätze zu belegen. Und es gab auch eine Vorstellung von Der Freischütz, das aber war in einer Zeit, im Februar war es der Roten Armee in Leningrad bereits gelungen, den Belagerungsring aufzubrechen. Und ganz wichtig, im Februar die sechste Armee unter General Paulus hatte gegen Hitlers Befehl in Stalingrad kapituliert. Alles das war bei den Spitzen des Regimes bekannt und wird auch der Führungsriege der Schultheiss Brauerei bekannt gewesen sein. Goebbels hatte damals die Bevölkerung im Berliner Sportpalast auf den totalen Krieg eingeschworen, und in dieser Situation, man kann nur sagen, sie haben wirklich beide Augen zugemacht und wollten es nicht sehen, hat die Unternehmensführung von Schultheiss beschlossen, wir machen dieses Fest. Das fand auch statt im Oktober, und im November, also nur wenige Wochen nach dieser großen Feier, wurde die Deutsche Oper ausgebombt. Ein merkwürdiges Ereignis, das eine Realitätsverweigerung zeigt, die einen doch sehr erstaunt.

Markus Raupach: Auch vor dem Hintergrund, dass die bei der Planung des Jubiläums gedacht haben, der Krieg wäre dann eigentlich schon beendet.

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ja.

Markus Raupach: Also so nach dem Motto, wir haben dann schon gewonnen in einem halben Jahr, vor diesem Hintergrund. Also erstaunlich. Vielleicht noch mal zurück zur Hauptvereinigung. Hat die denn ihren, in Anführungsstrichen, „Job“ überhaupt machen können? Also haben die überhaupt jemals wirklich agiert als Vertretung und auch wirklich dann Dinge durchgesetzt? Weil bisher kam es mir jetzt so rüber, als hätten sie hauptsächlich Dinge gefunden, wo die zwar versucht haben was durchzusetzen, aber letzten Endes immer wieder an der Wirtschaft gescheitert sind.

 

Der Bürokratie ging das Papier aus

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Sie haben unendlich viel Papier produziert und es gibt auch Meldungen darüber, dass sie Papiermangel hatten. Sie konnten gar nicht alle Bescheide, die sie ausstellen mussten, wirklich drucken. Was sie machten, war, dass sie den Brauereien Bezugsscheine zugestellt haben für deren Bezug an Hopfen und vor allem an Braugerste. Und insofern war das ein hochkompliziertes bürokratisches System. Nur die Richtlinien dafür, also in welchem Umfang sie diese Scheine ausstellen sollten, kamen eben nicht von der Hauptvereinigung selber, sondern wurden im Grunde aus dem Wirtschaftsministerium vorgegeben. Von daher haben sie viel getan, aber wenig selbst bestimmt.

Markus Raupach: Gilt das dann auch für die Rohstoffe? Also auch so, was ich gelesen habe, war es so, dass man beim Hopfen eher eine Überproduktion hatte, bei der Gerste eher eine Unterversorgung. Hat man da versucht gegenzusteuern von der Hauptvereinigung aus?

 

Die Regulierung der Rohstoffe

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ja. Beim Hopfen hat man von Anfang an eine Überproduktion gehabt, das heißt, man wollte Flächen stilllegen, damit die für andere Zwecke freigemacht werden. Das geschah auch in gewissem Maß. Und bei der Braugerste war das umgekehrte Problem, man hatte zu wenig. Man musste auch relativ viel davon importieren, und Importe waren ja die große Schwachstelle des Regimes, denn Importe waren mit der verfolgten Autarkiepolitik wenig vereinbar. Sobald man andere Länder in Europa überfallen hat, hat man dort aus diesen Ländern Rohstoffe abgezogen und sich angeeignet, aber vorher war das eben nicht der Fall. Das heißt, bei der Braugerste musste die Hauptvereinigung immer jonglieren und schauen, wie sie das hinbekommen. Und die Braugerste stand in Konkurrenz zur Gerste für andere Verwendungen, das war das Problem. Das heißt, die Brauer mussten sich hier durchsetzen gegenüber anderen Nahrungsmittelproduzenten, die eben auch Gerste brauchten, was ihnen aber lange Zeit ziemlich gut gelungen ist.

Markus Raupach: Dazu gehört vor allem auch der Kaffeeersatz, den man dann sozusagen produziert hat aus der Gerste.

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Mhm (bejahend).

 

Die Augen verschlossen

Markus Raupach: Und wenn wir dann ans Ende des Krieges oder die Endjahre des Krieges schauen, wie hat es sich denn da verändert? Hat der Verband darauf irgendwie reagiert, seine Mitglieder vorbereitet, und diese Mängel, die dann natürlich entstanden sind, durch weniger mögliche Versorgung, durch zerstörte Transportwege und so, gibt’s da Sachen, die man nachvollziehen kann, wie die da agiert hatten?

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Das Problem ist, dass man über das letzte Kriegsjahr nicht sehr viel weiß, weil die Hauptvereinigung dann aus ihrem Sitz in Berlin Schöneberg ausziehen musste, weil das Gebäude durch eine Bombe getroffen worden ist. Aus der Zeit danach ist nur sehr wenig Schriftgut überliefert. Aber es gibt einige Briefe, Korrespondenzen, die es noch gibt im Bundesarchiv, und die erwecken den Eindruck, dass die Hauptvereinigung ihre Arbeit weitergemacht hat, als wäre nichts. Aus dem März 45 etwa sind Briefe bekannt, wo die Hauptvereinigung sich mit einem Hopfenhändler auseinandersetzt, und es geht um die Frage, wann wird das geliefert, wie wird das bezahlt? Und es ist wohl die Rede davon, ja, die Transporte sind unterbrochen, es ist schwierig, aber ansonsten hört sich das an eigentlich wie „business as usual“. Also auch da hat man den Eindruck, man wollte es eigentlich nicht sehen, wie schwierig und wie aussichtslos inzwischen alles war. Man hat einfach weitergemacht.

Markus Raupach: Haben Sie auch ein bisschen reingeschaut, wie die Zeit dann im Übergang funktioniert hat, als die Alliierten da waren, was dann aus der Hauptvereinigung geworden ist oder überhaupt aus der Brauwirtschaft, aus der Organisation?

 

Nach dem Krieg

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Der Reichsnährstand ist anders als andere nationalsozialistischen Organisationen nicht gleich 1945 aufgelöst worden durch die Alliierten. Man hat den erst mal noch einige Jahre am Leben erhalten, und zwar deshalb, weil man größere Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln befürchtet hat und die gab’s ja auch, der Hungerwinter 1946/47. Das heißt, die Hauptvereinigung blieb erhalten, aber war unter Treuhänderschaft gestellt.

Markus Raupach: Interessant ist überhaupt, wie die Brauwirtschaft dann weitergegangen ist, weil einerseits viele Betriebe zerstört waren, andere wurden dann abmontiert als Entschädigung, als Reparationszahlungen, und damit im Grunde das Ganze erst mal auf den Kopf gestellt. Dann war überhaupt Bierbrauen verboten, wurde dann erst wieder nach und nach erlaubt durch die Alliierten. Also dann auch noch mal eine andere Zeit. Ihnen auf jeden Fall vielen Dank für diesen Einblick in diese 12 Jahre deutscher Geschichte, wo eben auch das Brauwesen komplett umorganisiert werden sollte zumindest und eine gewisse Trägheit bewahrt hat und dadurch vielleicht auch ganz gut überleben konnte, aber trotzdem schon Repressalien ausgesetzt war, die man sich so eigentlich gar nicht vorstellen kann. Vielen, vielen Dank nach Wien! Vielen, vielen Dank für Ihre Zeit!

Prof. Dr. Dorothea Schmidt: Ja, sehr gerne.

Markus Raupach: Danke.

BierTalk – der Podcast rund ums Bier. Alle Folgen unter www.biertalk.de

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